Tamata

Erinnerungen von Bernard Moitessier

Was für ein Buch! Ja, aber – was für eins? Ein Segelbuch? Es ist sehr viel mehr. Die Lebenserinnerungen dieses bemerkenswerten Mannes sind auch Geschichtsbuch, philosophisches Werk, Abenteuerreportage – und praktische Tipps und Hinweise zum Blauwassersegeln gibt es obendrein. Auch wenn die nicht alle unbedingt zeitgemäß sind, Anregungen zum Nach- und Umdenken sind auch hier enthalten. Ein wirklich multidimensionales Werk also, welches uns bei alledem auch den Menschen Moitessier nahe bringt. Und nun, endlich, auch in sehr guter deutscher Übersetzung vorliegt. Dafür ein großer Dank an den engagierten Aequator-Verlag. Die englische Version gab es schon seit vielen Jahren, hier geht es zur Literaturboot-Rezension dieser englischen Ausgabe.

Seine rein seglerischen Leistungen sind in seinen anderen Büchern ausführlicher beschrieben – in „Der verschenkte Sieg“ (original: La longue route) über das Golden Globe Race und „Kap Horn, der logische Weg“ (original: Cap Horn à la voile, als deutsche Ausgabe leider nur noch antiquarisch erhältlich) über die Reise mit seiner damaligen Frau Françoise von Tahiti nach Alicante. In „Tamata“ geht es, wie gesagt, ums Ganze. Um sein komplettes Leben, das am 10. April 1925 in Hanoi, im damaligen Indochina, dem heutigen Vietnam, begann. Faszinierend sind seine Beschreibungen von und Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in dieser damals französischen Kolonie, aus der verklärend-großbürgerlichen Sicht eines Kolonialistensohnes; traurig stimmend seine sich daran anschließenden Erfahrungen als junger Mann im Indochina des Zweiten Weltkriegs unter Japanischer Besetzung und dem sich anschließend entwickelnden Bürgerkrieg um die erstrebte Unabhängigkeit, die Frankreich, und damit auch Moitessier als französischer Marinesoldat, anfangs noch entschlossen bekämpften – die Anfänge der tragischen Hölle des jahrzehntelang wütenden Vietnam-Krieges.

Dann begann er, auf See zu gehen. Er lernte den Umgang mit Schiffen von den Dschunkenschiffern Indochinas, die an den Küsten entlang und zu den Inseln hinaus segelten. Damit erlernte er die Seefahrt auf traditionell asiatische Art, was ihn natürlich ein Leben lang prägte. Welten entfernt von der Yachtsegelei, wie sie sich schon vor dem Kriege in den USA und Europa etablierte, war dies eine robuste, einfache Art der Seefahrt, auch sehr spirituell geprägt. Eine Seefahrt mit, nicht gegen die See. Mit den Augen des europäischen Seglers betrachtet, verliefen seine ersten Reisen desaströs – die zweite endete denn auch gleich mit einem Schiffbruch im Indischen Ozean. Immerhin, ein Dreivierteljahrhundert später passierte das Gleiche einer hoch bezahlten Proficrew mit einem High-Tech-Renner, der im Vergleich zu Bernards bescheidener und leckender Holzdschunke wie ein segelndes Space-Shuttle anmutet: Keine Schande für Moitessier und seine Art der Seefahrt, also!

Sein Schiff mag untergehen, er selbst jedoch nicht. Anders als die eben erwähnten Helden des gestrandeten Raumschiffs im Indischen Ozean kehrte er in kein komfortables Leben zurück. Er wurde vom Riff gepickt, fast nackt, komplett mittellos, ausgehungert, ohne irgendetwas außer seinem Leben und seinem Geist. Wird auf Mauritius an Land gesetzt. Es ist unglaublich, aber er trifft die richtigen Menschen, die richtigen Entscheidungen, findet Arbeit, berappelt sich, baut ein neues Schiff und segelt, wenige Jahre später, weiter. Bis zum nächsten Schiffbruch, diesmal in der Karibik, der ihn jedoch ebenso wenig umbringt, sondern wieder einmal neu auferstehen lässt wie einen Phönix, diesmal mit der berühmten roten Stahlketsch „Joshua“. Und Bernard Moitessier erzählt das alles fast lakonisch, bescheiden, selbstkritisch und nicht ohne Humor.

Joshua

Berühmt wird er durch seine Bücher über seine Reisen. Dass er diese Bekanntheit nutzen möchte, um auch gleich noch die Welt zu retten, ist bezeichnend für ihn und sein ganzes späteres Leben. Sein vermeintlich größter Coup schlug leider fehl: Aus Gründen, die in seinem Buch logisch dargelegt werden, wollte er sein komplettes Einkommen aus dem Bestseller „Der verschenkte Sieg“ an den Papst stiften – um diesen zu einer öffentlichen Auseinandersetzung über westliche und christliche Werte zu zwingen: „Meiner Ansicht nach ist die Botschaft Christi das, was uns seit Anbeginn der Welt als das Großartigste und Schönste anvertraut wurde. Ich griff somit nicht die Religion (oder die Religionen) an, sondern die falschen Werte des Westens. Ich wollte eine klare Antwort auf folgende Frage: ‚Sind wir ein Haufen von Schweinen und Schmutzfinken, oder nicht? Sind volle Teller und der Komfort um jeden Preis unser vorrangiges Ziel, oder nicht?’ Wer ehrlich genug ist, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, kann darauf nur eine Antwort geben. Eine zweite wesentliche Frage ergab sich aus der ersten: ‚Sind wir gezwungen, Schweine und Schmutzfinken zu bleiben? Oder wollen wir zu Menschen werden?’ Im Tausch gegen die materielle Sicherheit, der ich den Rücken kehrte, wollte ich einfach eine Antwort auf diese beiden Fragen zum Sinn des Lebens. Und ich wollte, dass die Debatte in der Öffentlichkeit stattfand.“

Klar, der Papst wollte das nicht. Zumindest ignorierte er Bernard Moitessier, dessen Tantiemen und Ansinnen komplett. Was diesen aber auch nur vorübergehend verzweifeln ließ. Ach, Moitessier, dieser wunderbare, fantastische Träumer allerfeinster Art. Der Ewig Suchende und Sehr Weit Sehende. Der immer noch oder gerade wieder besonders aktuell ist mit seiner Kritik an der westlichen „Zivilisation“: Gerade jetzt in dieser Zeit…

Segeln kommt natürlich auch vor. „Ich war dreißig Jahre alt und bestimme die Position. Nicht nur mit dem Sextant und dem Chronometer. Ich bin 30 Jahre alt und bestimme, wo ich im Leben stehe, während ich den Himmel betrachte. Er sagt mir, dass ich das Bündnis gewahrt habe und alles gut gehen würde, solange ich daran festhalte.

Das Kind hat sich im Cockpit neben mich gesetzt. Ganz weit vor dem Bug liegt Durban. Noch viel, viel weiter das gefürchtete Kap der Guten Hoffnung. Wir lauschen dem Rauschen des Wassers an der Bordwand. Ein Regenbogen, geboren aus der Gischt und der Sonne, zeigt sich am Bug. Und der Passat summt in der Takelage, um uns das Lied des Windes zu singen, das sich mit den Segeln vereint hat.

Ich verstehe jetzt die Sprache dieser Musik. Sie sagt mir, dass ich Bürger des schönsten Landes auf Erden bin. Ein Land mit harten, aber einfachen Gesetzen, das niemals trickst, das gewaltig und ohne Grenzen ist, in dem sich das Leben im Jetzt abspielt.

Und sie erinnert mich daran, niemals zu vergessen, dass es in diesem Land ohne Grenzen, in diesem Land des Windes, des Lichts und des Friedens nur einen Großen Chef gibt: Das Meer.“

Ist dies ein Segelbuch? Zumindest ist es Weltliteratur in der Welt des Segelns und der maritimen Literatur. Ein faszinierendes, bewegendes, vielschichtiges Buch das keinen Segler (Seglerin), keinen reisenden oder nachdenkenden Menschen kalt lassen kann. Mit anderen Worten: Ein Schatz!

Bernard Moitessier starb am 16. Juni 1994 i der Nähe von Paris an Krebs. Sein Grab befindet sich in dem bretonischen Dorf Le Bono am Golf von Morbihan, in der Nähe von Auray.

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