Aus dem Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): „Die Meere werden immer höher, wärmer und saurer“, hieß es darin bereits 2006 in einem Sondergutachten. Was jedoch keineswegs dazu führte, dass die Meere sich fortan erholen durften, im Gegenteil. Zwar mangelt es nicht an zahlreichen völkerrechtlichen Abkommen und freiwilligen (also unnötigen) Verpflichtungen. Die Realität besteht jedoch aus Überfischung, Verschmutzung und zunehmender Erschließung und Ausbeutung der letzten großen Ressourcenquelle der Erde.
Gründe genug für den WBGU unter Vorsitz von Prof. Dr. Dr. Hans Joachim Schellnhuber im aktuellen Hauptgutachten sehr deutlich diverse Missstände anzuprangern. „Die Menschheit muss die vorherrschende, häufig auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Bewirtschaftung der Meere beenden. Daher sollte der Meeresschutz zugunsten der heutigen und künftigen Generationen mitsamt der Erhaltung der marinen Ökosystemleistungen und der biologischen Vielfalt im Zentrum stehen.“
Der Zustand der Meere ist so besorgniserregend und die weitere Zunahme von Meeresverschmutzung und –übernutzung so absehbar, dass der WBGU eine Forderung erneut aufgreift, die bereits Ende der 1960er Jahre in der UN-Generalversammlung vorgetragen wurde. „Eine neue übergreifende Vision einer künftigen Governance der Meere, die sich an der Überzeugung orientiert, dass das Meer als ein gemeinsames Erbe der Menschheit zu begreifen ist.“ Alle Meereszonen also und nicht nur das „Gebiet“, der Meeresboden jenseits nationaler Hoheitsbefugnisse mit seinen mineralischen Ressourcen. Das „Gebiet“ ist seit dem Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS) 1994 als Menschheitserbe definiert. In der Langfristvision des WBGU muss das UNCLOS dringend reformiert werden.
Nur mit einem Gesellschaftsvertrag für die Meere könnte der dauerhafte Schutz der Meere erreicht werden. Bei einer bis Mitte des Jahrhunderts auf 9 Milliarden Menschen anwachsenden Weltbevölkerung muss die gesamte Menschheit von den Nutzungsmöglichkeiten der Weltmeere profitieren dürfen. Eine neu zu gründende Weltmeeresorganisation (World Oceans Organisation) mit entsprechenden regionalen Institutionen soll am Ende eines sorgfältigen und schrittweisen Umbaus der internationalen Meerespolitik für nachhaltiges Meeres-Management verantwortlich sein. Damit auch künftige Generationen die Meere noch nutzen können.
Alle Staaten müssen künftig erweiterte Schutzpflichten für die Meere in ihren Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) übernehmen. Für die Hohe See sollen neu zu gründende Regional Marine Management Organisations (RMMO) diese Pflichten übernehmen. Erfüllen diese ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend, soll die Weltmeeresorganisation eingreifen können. 20 bis 30 Prozent der Meere sollen als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Die Einhaltung der Schutzvorschriften müssen durch die Küstenstaaten und Regional Marine Management Organisations (RMMO) überprüft werden. Bei Zuwiderhandlungen sollte das UN-Seerechtsübereinkommen Möglichkeiten enthalten, vertragsbrüchige Staaten zu sanktionieren. Staaten, die ihren Schutzverpflichtungen nicht nachkommen, sollten vor dem Internationalen Seegerichtshof verklagt werden können. Überhaupt sollten die Zuständigkeiten des Seegerichtshofes erweitert werden. Ausgewählte und anerkannte Nichtregierungsorganisationen sollten hier Verbandsklagerecht erhalten.
Wissenschaftliche Empfehlungen zu Fisch-Fangquoten müssen von der Politik künftig besser umgesetzt und dann auch kontrolliert werden. Die Nutzung erneuerbarer Energien aus dem Meer sollte durch Innovationspolitik gefördert werden. Natürlich unter Beachtung von Nachhaltigkeitserfordernissen.
Auf 350 dicht beschriebenen Seiten wird der Ist-Zustand der Meere aufgezeigt und eine langfristige Vision entwickelt. Da deren schlagartige Umsetzung sehr unwahrscheinlich ist, wird anhand schrittweiser kleinerer Veränderungen ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Nutzung der Meere skizziert. Die Schwerpunkte werden dabei auf Fischerei, Meeresenergie und den Lebensraum Arktis gesetzt. Viele Infokästen, Tabellen und Abbildungen sorgen für einen schnellen Überblick über bestimmte Themenkomplexe. So entstand ein hochinteressantes Werk, das aufgrund der aufgezeigten Ignoranz gegenüber den Meeren für unverständiges Kopfschütteln sorgt. Andererseits lassen die notwendig radikalen Visionen aber doch Hoffnung aufkeimen.
Sicherlich keine Hoffnung auf baldige politische Veränderung. Man betrachte nur den Europäischen Tag der Meere (EMD), der 2014 in Deutschland stattfindet (http://ec.europa.eu/maritimeaffairs/maritimeday/en). Die Chance, die Konferenz am 19. und 20. Mai in Bremen dafür zu nutzen, die notwendige Reform des UN-Seerechtsübereinkommens, die Reduzierung des Mülls in den Meeren, den dringend erforderlichen Abbau der Überkapazitäten der weltweiten Fischereiflotte auf die Agenda zu bringen, wird – wie zu erwarten – nicht genutzt.
Stattdessen steht die Konferenz unter dem Titel „Innovation driving Blue Growth“. Soviel zur WBGU-Empfehlung, aus der küstenfernen Öl- und Gasförderung auszusteigen. Oder den Abbau von Methanhydrat in der Tiefsee gar nicht weiter zu verfolgen, weil die damit verbundenen Risiken unkalkulierbar sind und das klimaschädliche Methan bei der Umstellung der Energieversorgung auf Nachhaltigkeit ohnehin keine Rolle spielen darf.
Warum also hoffnungsvoll sein? Weil jeder, dem die Meere – unabhängig von wirtschaftlichen Interessen – am Herzen liegen, mit diesem Hauptgutachten umfangreiche Informationen erhält. Damit kann sich jeder künftig selbst für den Meeresschutz einsetzen und den öffentlichen Druck auf die Politiker verstärken, die das von ihnen in Auftrag gegebene Gutachten entweder nicht gelesen oder zumindest nicht ansatzweise verstanden haben. „Ich habe von den Problemen der Meere nichts gewusst“ zählt nicht mehr als Ausrede! Unbedingt lesen und sich dann selbst engagieren!
Das Hauptgutachten und eine 20-seitige Zusammenfassung mit den wichtigsten Eckpunkten in verständlicher, kompakter Form können (in Deutsch oder Englisch) auf www.wbgu.de kostenlos in gedruckter Form bestellt oder als pdf-Datei runtergeladen werden.
Hallo,
vielen Dank für den Hinweis auf dieses Gutachten sowie die Zusammenfassung. Dieses Material ist sehr geeignet zum Nachdenken und Weiterleiten.
Viele Grüße
Hubert Hell