Nordnordwest

Dies ist eine moderne Odyssee dreier Jugendlicher ohne Namen: Lucky (na ja, immerhin so etwas Ähnliches wie ein Name), der Kleine, das Mädchen. Das muss reichen, und es reicht auch für diese Reise in ungeahnte Gefilde, die zunächst ganz harmlos wie ein Road Movie mit zwei jugendlichen Kleinkriminellen beginnt. So dauert es ein paar Seiten bis die Geschichte Fahrt aufnimmt, bis wir uns in diese ganz eigene Stimmung und diese kleine, gemeine Welt der drei hineingelesen haben, aber dann packt dich ein Sog, der zumindest mich bis zum Schluss nicht mehr losgelassen hat. Die Jungs, Lucky und der Kleine, sind schon eine Weile auf der Flucht – warum und wovor erfahren wir erst im Laufe der Story. Sie landen in Saint Malo, Lucky gabelt ein Mädchen auf, das sich in ihn verknallt. Aus – ja, warum? – Wohlstandslangeweile schließt sie sich den Jungs an, weicht nicht von Luckys Seite. Auch nicht, als der beschließt, dass sie zur Überfahrt nach England ein Segelboot klauen sollen. Ahnung vom Segeln hat keiner, nur das Mädchen war schon mal auf einem Boot und hat zumindest eine vage Idee, dafür haben sie jede Menge Mut der Verzweiflung und Courage. Es bleibt eine traurige, wenn auch packende und faszinierende Geschichte mit traurigem Ende, leider, aber das will ich hier nicht verraten. Eine Metapher, klar, aufs Leben. Das Meer und das Befahren dessen eignet sich ja immer wieder besonders gut dafür. Hier ist es jedoch gelungen. Auch wenn es im Text ein paar kleine Fehler gibt, obwohl in der Danksagung jede Menge Fachjournalisten und Segler aufgeboten werden, die sich das Manuskript angeblich durchgesehen haben –trotzdem wird von „auslaufender Flut“ gesprochen, aber gemeint ist damit die Ebbe, die man braucht, wenn man mit der Tide auslaufen will. Ebenso wurde das Wort Navigieren für mein Empfinden mindestens einmal falsch übersetzt: Die drei sind kurz nach dem Ablegen mit dem Segeln beschäftigt (französisch: naviguer), im Buch heißt es jedoch, sie seien mit dem Navigieren befasst. Krittelei, ich gebe es zu, aber darüber stolpert man beim Lesen. Ich, jedenfalls. Abgesehen davon glänzt das Buch durch eine wundervolle Sprache, offenbar auch sehr gut übertragen ins Deutsche. Die See in all ihrer Weite und Launen wird sehr treffend beschrieben, die Macht des Meeres, und wie sich die drei sich unterwegs verändern, zueinander finden und wieder auseinander driften, in dieser Irrfahrt die ja auch, unter äußerlich ganz anderen Umständen, an Land stattgefunden hätte: sie wussten ja auch dort nicht, wohin. Ja, auch das Segeln in einem kleinen Boot in diesen Gewässern (Englischer Kanal und die Western Approaches) ist sehr gut, poetisch aber sprachlich knapp, beschrieben. Und es bleibt durchgehend spannend, man wird auch durch einen Kniff bei der Stange gehalten, weil man erfahren möchte, was den Jungen vor ihrer Flucht in Italien passiert ist (wird aufgeklärt). Und man möchte natürlich vor allem auch wissen ob sie mit ihrer Ahnungslosigkeit und ihrer Nussschale jemals wieder irgendwo anlanden (auch das tun sie). Die Figuren entwickeln sich auf dieser unglaublichen Reise, auch ohne Namen, und sind gut gezeichnet – im Gegensatz zum nautischen Geschehen durchaus glaubwürdig. In all ihrer Chancenlosigkeit, ihrem Schicksal zu entfliehen. Wie konnten sie nur da hineingeraten? Auch das wird kurz angedeutet. Fazit: Dieses Buch ist nicht nur kurzweilig, zuweilen macht es einen sogar schaudern. Auch nachdenklich, weil es zu viele solcher Jugendliche gibt, die kaum Chancen, kaum Ideen oder Perspektiven haben. Dass diese hier sich ein Segelboot klauen ist da schon fast ein Widerspruch, aber der „Anführer“, der älteste der drei zeigt Initiative und ist denn auch der einzige, der am Ende halbwegs ins Leben zurück findet… Übrigens stellt sich hier die uralte Frage: Was macht man, am Ende einer Reise? Ach, das wollte ich doch nicht verraten. Entschuldigung!

 

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