Sie kann zupacken, beim Segeln wie im übrigen Leben. Sie hat Ideen; Visionen die sie auch umsetzt. Sie ist Künstlerin, aber gleichzeitig praktisch veranlagt und geerdet. Sie ist Unternehmerin, mit Kreativität. Und sie ist dabei, einem neuen Stadtteil in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, den es noch gar nicht gibt, schon jetzt in ihrem Sinne zu gestalten: Anette Holmberg. Ein Porträt von Detlef Jens
Ein altes Werftgelände. Industrielles Brachland. Eine Halle, darin ein ganzes Stockwerk, hunderte und noch mal hunderte von Quadratmetern. Voll gestellt mit Schrott, keine Elektrizität, die Toiletten funktionieren nicht und durch das Dach fällt im Winter der Schnee. Das also hat sie gemietet. Stoff für schlaflose Nächte, Alpträume gar? „Natürlich“, lacht Anette Holmberg, Künstlerin, Seglerin, Unternehmerin. Sieben Jahre ist das nun her, und sie hatte eine Vision. Außerdem ist sie eine mutige Frau, voll positiver Energie. Muss sie auch sein, schließlich segelt sie als Crew auf klassischen Rennyachten der 12-m-R Klasse; auch das ist nichts für Leute mit schwachen Nerven.
Wir sitzen in ihrem Atelier im „Skabelonloftet“, dem ehemaligen Zeichenboden der Werft. Uralte Holzdielen, hohe Decken mit einer filigranen und faszinierend ineinander greifenden Trägerkonstruktion aus Eisen, dazu eine tiefe und weite Fensterfront, die den Blick bis weit hinaus zum Horizont überm Sund vor Kopenhagen frei schweifen lässt. Die Außenfassade der Halle gleicht einem Kunstwerk, ein Fachwerk, ein Patchwork aus Eisenträgern, Glas und Mauersteinen. Industrielle Architektur von einst, heute eher ein Denkmal der Vergänglichkeit, fast wie die Kunst von Anette Holmberg. „Mich fasziniert die Ästhetik des Verfalls von Holz und Metallen. Die natürliche Patina der Materialien kommt in meinen Bildern zur Geltung“, erklärt sie. Viele Materialien, die dann in ihren Bildern verarbeitet werden, findet sie genau hier, auf dem verlassenen Werftgelände, oder auf Schrottplätzen. Es ist die Verbindung von bemalter Leinwand und solchen Materialien, die ihre Werke ausmacht. Was durchscheint, ist eine nordische Zeitlosigkeit und Klarheit, zuweilen kühl und kontrastreich wie ein klirrender Wintertag an der Ostsee, zuweilen auf schwer erklärliche Art beruhigend und nachdenklich wie, könnte man meinen, das skandinavische Wesen an sich.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Bestes Beispiel ist die Künstlerin selbst. Sie stammt aus einem eher kleinen Ort im Norden Seelands, ging nach Kopenhagen als sie knapp zwanzig war. Voller Ideen und Power. Kunst und Unternehmertum, sagt sie, gehören für sie zusammen, sie sieht darin keinen Gegensatz und wenn, dann als die zwei Pole eines Spannungsfeldes. So führte sie ihre Kunst hierher. Auf das Gelände der ehemaligen Werft Burmeister & Wain, die hier von 1872 bis 1996 zeitweise bis zu 8000 Menschen in Lohn und Brot hielt, stieß sie nicht durch Zufall. Um die 1000 Schiffe wurden hier gebaut, darunter die „Selandia“ von 1912, das erste seetüchtige Dieselmotorschiff der Welt, außerdem Dieselmotoren für Lokomotiven. Zu übersehen ist es nicht, vielleicht haben es deswegen so viele Menschen bislang nicht wirklich bemerkt, 525.000 Quadratmeter in bester Lage, vielleicht 200 Meter Luftlinie von der berühmten kleinen Meerjungfrau entfernt. 70.000 überbaute Quadratmeter an Hallen- und Gebäudeflächen. Direkt am Wasser, natürlich, mit einem Yachthafen und Anlegern. Ein Areal wie gemacht für eine neue Stadt!
Doch zunächst einmal ist die Künstlerin am Zug, der Finanzkrise sei Dank. Zwei neu geplante Stadtteile gibt es schon im Großraum Kopenhagen, mit luxuriösen Apartments die nun plötzlich nicht mehr so gut verkauft werden, die neuen Viertel seien daher nicht sehr lebendig, berichtet Anette. So hat die Stadt über dem ehemaligen Werftgelände einen mindestens zehnjährigen Baustopp verhängt. „Das ist ein Geschenk für uns!“, freut die unternehmerische Künstlerin sich: „So haben wir Zeit, unsere eigenen Projekte in den Bestandsgebäuden zu entwickeln!“ Die Eigentümer des Areals, vier dänische Pensionsfonds, und auch die Stadt selbst sehen das nicht ungern. Immerhin werden die alten Gebäude und Hallen zum Teil noch genutzt, es gibt hier ein Theater, Lagerräume und Büros, so verfallen sie nicht ganz. Und werden auch nicht besetzt: Christiania ist gleich nebenan.
Aber natürlich hat sie einen anderen Plan. Da ist zunächst ihr Loft. Als sie es gemietet hatte, verhandelte sie mit den Eigentümern, die ihr schließlich halfen – das Dach abzudichten, dänische Bolleröfen als Heizquellen für den Winter aufzustellen, die Toiletten zu reparieren. Sie selbst packte kräftig mit an, gemeinsam mit ihren ersten Untermietern entrümpelte sie ihre Etage, zog Trennwände ein für die verschiedenen Büros und Ateliers. Heute arbeiten hier Künstler, Architekten, Designer. Sie selbst hat ihr eigenes Atelier hier, natürlich, dazu einen großen Veranstaltungsraum den sie selbst vermietet für Fotoshootings, Workshops, Präsentationen, Partys. Nach sieben Jahren, sagt sie, fange sie endlich an zumindest ein bisschen Geld mit diesem Projekt zu verdienen.
Dann hat sie noch, ebenfalls hier auf dem Gelände, ihre Galerie: Yardgallery. Ein Raum für Künstler, zum Ausstellen und Arbeiten. Im Herbst fand dort eine Präsentation von Architekturstudenten statt, zum Thema Zukunftsarchitektur – lebendig und nachhaltig, freundlich für Bewohner und Umwelt. Eine Parlamentsgruppe tagte während der Ausstellung hier, es ist auch ein Raum für Interaktion und Austausch und überhaupt ihr jüngstes und derzeit deswegen wohl auch liebstes Projekt.
Bei all diesen Aktivitäten – ist sie mehr Unternehmerin, als Künstlerin? „Ich war immer auch Unternehmerin“, meint sie. „Das ist der Grund, warum meine Kunst, der Loft und die Galerie so sind, wie sie sind.“ Ein Gesamtkunstwerk, also. „Es ist ein fortlaufender Prozess, meine Kunst hat sich verändert seit ich hier aktiv bin. Ich könnte niemals diese Art von Kunst machen wenn ich nicht gleichzeitig etwas aufbauen würde. Zurzeit baue außerdem auch noch ein Sommerhaus an der Nordküste von Seeland. Zusätzlich zu allem anderen, aber es erfüllt mich mit Zufriedenheit und Sicherheit und gibt mir Inspiration. Meine Eltern haben drei Häuser selbst gebaut, ich war als Kind immer umgeben von Baustellen. Bauen, kreieren und malen ist für mich die beste Art der Entspannung, um Energie zu tanken und Inspiration zu finden!“
Inspirationen wie jene, die sie auf das Gelände der Werft geführt hat. Zielgerichtet, nicht zufällig. Und durch praktisches Anpacken etwas erschafft, einen Plan in gang setzt der am Ende das zukünftige Gesicht dieses Viertels prägen wird. Sie hofft, dass die alten Gebäude hier erhalten werden können, dass das neue Viertel, welches hier eines Tages ganz bestimmt entstehen wird, durch die Anwesenheit der Künstler und den daraus resultierenden Kulturbetrieb lebendig, bunt und attraktiv wird. Das ist Stadtplanung von unten, ganz nach ihrem Gusto: Sie will einfach machen.
Die Umstände sprechen für sie und ihren Plan. Kopenhagen ist eine Metropole, die auch durch innovative und mutige Architektur auffällt, die offen ist für Visionen. Christiania hätte sich wohl kaum anderswo so entwickeln können, auch wenn es heute „etabliert“ ist und die zweitgrößte Touristenattraktion Dänemarks dazu.
Obwohl auch in der dänischen Hauptstadt Fehler gemacht wurden, die typischen Entgleisungen der 60er und 70er Jahre. Anette zeigt aus ihrem Atelierfenster. Dort vorne am Wasser steht – eine gigantische Kläranlage. „In Sydney steht an solch prominenter Stelle das Opernhaus“, sagt sie, „wenn man von See kommt ist das die Landmarke für die Stadt. Hier?“ Sie lacht. „Ein Klärwerk!“ Wie fast alle Städte hat sich auch Kopenhagen in den Aufbaujahren nach dem Krieg vom Wasser abgewandt, es wurden, wie überall, Stadtautobahnen betoniert und Trabantensiedlungen ins Land gebaut, weit weg von der Küste. Erst seit einigen Jahren erleben wir überall die längst überfällige Rückbesinnung auf die alten Kernwerte; auf die Wasserfronten
und die gewachsenen Stadtteile und Quartiere rund um die Häfen, um deren willen die meisten dieser Städte ja überhaupt erst einmal dort stehen, wo sie nun einmal stehen: Am schiffbaren Wasser, am Meer eben oder am Fluss.
Die Qualitäten ihrer Stadt weiß Anette Holmberg in jedem Fall zu schätzen: „Ich liebe Kopenhagen und die Mentalität hier! Eine Metropole mit Raum für Ideen – und für Fahrräder. Ich fühle mich hier sicher und bin sehr dankbar dafür, dass meine Tochter sich überall in der Stadt frei und sicher bewegen kann!“ Und in der eine Frau wie sie die besten Chancen hat, durch ihre Arbeit wirklich etwas zu bewegen.
Zuerst erschienen war dieser Artikel in der Zeitschrift GOOSE – www.classics.robbeberking.de