Die Welt ist nicht genug
Gut vier Jahrzehnte ist es her, dass ein junger Einhandsegler als Erster die Welt nonstop umsegelte. Es war keine Regatta, sondern ein Wettlauf der Amateure. Portrait eines Phänomens, geschrieben anlässlich der Teilnahme von Sir Robin am Velux 5 Oceans Rennen alleine um die Welt im Jahre 2006 – im Alter von 67 Jahren!
Von Hans-Harald Schack
Was teilt ein Weltumsegler, von dem man vier Monate nichts gehört hat, in der Nachricht mit, mit der sich unter die Lebenden zurück meldet? Etwas Emotionales, etwas Heroisches?
Am 29. März 1969 wird Robin Knox-Johnston, 29, südwestlich der Azoren von einem Frachter fast über den Haufen gefahren. Auf der Brücke ist niemand zu sehen. Der Segler holt sein Gewehr raus, gibt ein paar Schüsse ab, worauf ein Mann auf der Brücke erscheint – und das Schiff weiterfährt. Drei Tage später erscheint wieder ein Frachter, Knox-Johnston setzt sein Unterscheidungssignal und die Buchstaben-Flaggen MIK, dann fährt das Schiff vorbei. Weitere Schiffe fahren vorbei, Knox-Johnston driftet gerade durch eine viel befahrene Transatlantik-Route.
Dann erscheint der BP-Tanker Mobil Acme über dem Horizont, und dort sieht man die kleine Ketsch, auf der ein einzelner Mann mit einer Lampe blinkt: »British SUHAILI. Round the world nonstop.«
Antwort des Tankers: »Wiederholen Sie bitte den Namen.«
»Suhaili. Melden Sie mich bitte an Lloyd’s.«
»Wird gemacht, good luck«“
Wenn ein Schiff verstummt und nicht in der erwarteten Zeit seinen Hafen erreicht oder gesichtet wird, dann gilt es als überfällig. An der Versicherungsbörse Lloyd’s in London kann das Risiko des Verlusts dann noch versichert werden, zu sehr hohen Raten. Es ist seitens der Versicherer eine Wette auf ein Wunder, und seitens des Versicherungsnehmers der Versuch, einen fast sicheren Totalverlust etwas abzufedern. Wenn ein Schiff so lange überfällig ist, dass mit seiner Rückkehr nicht mehr zu rechnen ist, wird es für verschollen erklärt und kurz darauf die Versicherungssumme ausgezahlt.
Aber Suhaili war einfach nur ein paar Monate verschwunden. Sie war ein kleines, fast wertloses Schiff, an dessen Bordwänden der Rost der Beschläge herableckte. Sie segelte ohne Ladung, mit nur einem Mann Besatzung. Sie war überhaupt nicht versichert. Alle Welt in England interessierte sich für das Schicksal der kleinen Ketsch, nur kein Versicherer. Warum also Lloyd’s?
Die Episode südwestlich der Azoren wirft ein Licht auf den Mann, dessen Ruhm in diesem Moment beginnt und bis heute anhält. Für einen Seemann ist Lloyd’s keine Versicherung, sondern ein Nachrichtensystem. Zweieinhalb Stunden später wusste Knox-Johnstons Familie Bescheid, die Freunde und die Sunday Times, die das Rennen sponsert. Und dass der Offizier auf dem Tanker Mobil Acme seine Meldung an Lloyd’s mit der Bemerkung »standard of signalling excellent« abschloss, freute den Segler besonders, als er nach seiner Ankunft davon erfuhr. Es gab den Angehörigen an Land ja nicht nur einen ersten Hinweis darauf, dass er in guter Verfassung war, sondern es war auch ein Lob von einem Nautiker.
Robin Knox-Johnston ist Brite (mit irischen Wurzeln) und Sportsmann, aber vor allem ist er ein Seemann. Er fuhr als Offizier und Kapitän im Indischen Ozean und in der England-Ostafrika-Fahrt und war in der Navy Leutnant der Reserve. Er ist glücklich, wenn er später mit aktiven Berufsseeleuten zu tun hat. Er beherzigt bei Südpolarkälte, mit gebrochenem Steißbein und trotz totaler Erschöpfung immer den Profi-Grundsatz: Das Schiff geht vor. Nur mit einem schwimmenden Schiff unter den Füßen überlebst du auf See.
Bei allem, was er später unternehmen wird, setzt er auf verlässliche Schiffe. Er will das beste Material, das er sich leisten kann, und betritt technisches Neuland mit Vorsicht. Sein 70-Fuß-Katamaran„Britsh Oxygen, beim Tornado-Konstrukteur Reg White gebaut, erinnert die Zeitgenossen an einen soliden Flugzeugträger, sein Sea Falcon aus den selben Rumpfformen ist nur noch halb so schwer wie der Vorgänger, dabei »seetüchtig und sehr, sehr schnell«. Der 90-Fuß-Kat Enza New Zealand, mit der er und Peter Blake als erste die Jules-Vernes-Marke von 80 Tagen knacken, sieht grazil und schlank aus, aber nur, weil sie das ohnehin schnelle 85-Fuß-Schiff für die rasenden Surfs im Südmeer noch verlängert haben. Das bringt mehr Stabilität in Längsschiffrichtung.
Heath’s Condor, mit der er 1977 als Favorit zum Whitbread Round the World Race startet, hat einen nach achtern gepfeilten Kiel – um unter Spinnaker im Südmeer sicherer auf dem Ruder zu liegen. Dass ein vertikaler Kiel einen besseren Hebel und mehr dynamischen Auftrieb als ein gepfeilter Kiel bietet, weiß er. Die Beherrschbarkeit des Schiffes ist ihm wichtiger. Später bereute er die Entscheidung, als klar war, dass sich auch die schmalen tiefreichenden Kiele sicher beherrschen lassen. Mit der Leistung dieses Schiffes war er, obwohl er nach zwei von vier Etappen Erster im Ziel war, nie ganz zufrieden. Das Heck ist eine Fehlkonstruktion, nur selten kommt das Schiff bei Surfs in den Bereich über 25 Knoten. Und dann zieht es einen fünf Meter hohen »Hahnenkamm« aus Gischt hinter sich her, was zwar toll aussieht, aber nicht von einem widerstandsarmen Wasserabriss zeugt. Sie werden Letzter nach berechneter Zeit.
Die wichtigste Lehre, die er aus dem Whitbread 77/78 zieht, lautet: Nimm dir künftig genug Zeit, am besten sechs Monate fürs Training. Wäre das Schiff früher fertig geworden, wäre der »experimentelle« Carbon-Mast schon im Training runtergekommen und nicht erst vor Afrika. Man hätte das Heck ändern können. Am Sieger, der holländischen Flyer, lobt er die perfekte Vorbereitung. Und trotzdem geht er später noch öfter in die Zeitfalle. Zu viele Dinge werden erst auf den letzten Drücker fertig – und versagen prompt auf See.
Manchmal kann er sich behelfen, manchmal nicht. Auf Suhaili opfert er drei Glühbirnen, um Lötzinn für die Reparatur seines Funkgerätes zu gewinnen, die ihm zunächst auch gelingt. Beim Velux 5 Oceans, das er 2006 im Alter von 67 Jahren segelt (»Warum tun bloß alle, als hätte man ab 65 nur noch Brei im Hirn?«), lässt ihn seine Wettersoftware im Stich und sein elektrischer Autopilot. Beides Probleme, die er mit mehr Vorbereitungszeit vor dem Start gelöst hätte.
Bei Knox-Johnston an Bord sieht es nach Arbeit aus, nicht schick. Alles ist zweckmäßig. Auf Heath’s Condor gab es ein U-Sofa, aber keinen Salontisch. Sein Open 60 sieht unter Deck wie eine Navigations- und Werkstatthöhle aus. Als er kurz nach dem Start zum Velux 5 Oceans von einem Biskaya-Brecher auf die Seite gerollt wird, kippt nur ein Werkzeugkasten um, alles andere bleibt an seinem Platz. Und er ist beim eintreffen des Orkans unter allen Teilnehmern derjenige, der den größten Sicherheitsabstand zu Küste herausgesegelt hat.
Als junger Mann –zu jung, meint er später – heiratet er seine Freundin aus Kindheitstagen, Suzanne. Sie gehen nach Indien, wo er zur See fährt und von einem Kollegen erfährt, dessen Frau mit seiner Sue befreundet ist, dass er eine Tochter hat. Sein erstes Buch »A World of My Own« hat er Sara gewidmet. Da sind Sue und er bereits geschieden. Obwohl sie hart im Nehmen ist, konnte sie seine Fixierung auf die Segelei nicht akzeptieren. Später heirateten Sue und er wieder, es wird eine gute Ehe. Dann stirbt sie an Krebs, und ihm wird diese Wahrheit erst drei Tage vor ihrem Tod klar. Da ist sie vom Morphium bereits so benommen ist, dass er sich nicht mehr richtig von ihr verabschieden kann. Sie waren 57 Jahre zusammen. Er hadert mit Gott.
Zwei Jahre später kehrt er ins Leben zurück. Er ist erst 66 Jahre alt, und da es in seiner Familie 80-, 90- und eine 100-Jährige gibt, muss er wohl noch was tun. Er hat sich mit seiner Firma Clipper Ventures des alten Etappen-Weltrennens Around Alone angenommen, es zum Velux 5 Oceans gemacht, und nun kauft er sich einen gebrauchten Open 60 (und eine neue Bibel) und geht selbst an den Start. Die Welt ist seine Strecke.
Der Erfolg von Knox-Johnston erklärt sich nicht allein daraus, dass er gute Projekte unternimmt. Er schreibt auch darüber, und er ist ein guter Erzähler. Unaufdringlich, ohne Pathos, faktenreich. Er führt neben seinen Logbüchern auch Tagebücher, weil er findet, dass das, was die Franzosen da immer reinschreiben, nicht ins Logbuch gehört. Er schrieb nicht nur über seine Rennen, sondern auch über Kap Hoorn und das Kap der Guten Hoffnung, über Seemannschaft und Navigationsgeschichte. Er hat eine Kolumne in Yachting World, und er erzählt in einem Dutzend Bücher von seinen großen Reisen. Das Buch über das Jules-Verne-Projekt mit Peter Blake, gibt es auch auf Deutsch (»In 74 Tagen um die Welt«). Wer sein Englisch ein bisschen auffrischen will – die klare Sprache von »Force of Nature«, seinem bislang letzten Buch, und »A World of My Own«, dem Bericht über seine Einhand-Nonstop-Weltumsegelung, ist ein Genuss.
Es gibt Dinge, die er nicht an die große Glocke hängt. Das Golden Globe Race von 1968/69 hat er gewonnen, weil er als einziger ans Ziel kam. Die Teilnehmer dieses merkwürdigen Rennens starteten nach Belieben innerhalb eines Zeitfensters, die schnelleren Boote etwas später, um das Südmeer im Hochsommer zu passieren. Knox-Johnston lag vorn, aber Bernard Moitessier segelte schneller als er. Allerdings fuhr Moitessier nach Kap Hoorn weiter in die Südsee. »Es sieht aus, als ob er nochmal rum will«, notierte Knox-Johnston erstaunt, als er die Nachricht im Radio hörte. Somit bekam er als einziger Finisher auch noch den Preis für die schnellste Weltumseglung, der Moitessier fast sicher war. Knox-Johnston spendete die 5.000 Pfund den Hinterbliebenen des gescheiterten »Abkürzers« Donald Crowhurst, der die drei Kaps ausgelassen hatte und im Atlantik über Bord gegangen war.
Bücher von Robin Knox-Johnston
A World of my own (Englische Ausgabe) – Dieses Buch jetzt kaufen
On Sailing (Englische Ausgabe; die YW-World Kolumnen) – Dieses Buch jetzt kaufen
Über Segeln (Deutsche Ausgabe der YW-Kolumnen) – Rezension – Dieses Buch jetzt kaufen
Clipper Ventures
ist das Unternehmen von Robin Knox-Johnston. Es organisiert das Etappen-Rennen Velux 5 Oceans Race (SJ 06/09), das am 17. Oktober in La Rochelle startet. Die neue »Eco«-Klasse gibt Amateuren mit schmalerem Budget die Chance, auf Open 60s um die Welt zu racen.
Bekannter ist Clipper Ventures für die Clipper Races um die Welt, ein Etappen-Rennen für Amateure. Höchstalter 55 Jahre, die Crews werden von Profi-Skippern systematisch ausgebildet und segeln mit identischen Yachten in Ost-West-Richtung um die Welt.
Robin Knox-Johnston
1939 Geburt in London
1957 Ausbildung bei der Handelsmarine
1962 Hochzeit mit Suzanne
1963 Tochter Sara in Bombay geboren
1968/69 nonstop einhand um die Welt, dafür »Commander of the British Empire«
1992 Präsident der Sail Training Association
1995 Ritterschlag
Ehrendoktor der Universität Southampton
Ehrenmitglied in neun Yachtclubs (darunter 5 »Royals«)
Vositzender Little Ship Club
diverse Ehrenämter, darunter Greenwich Maritime Museum
3x Yachtsman of the Year
Ungezählte weitere Auszeichnungen.
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