Es gibt Berge von Polarliteratur, von all den Entdeckern und Forschern und Abenteurern. Da drinnen stecken Welten, Schicksale, Abgründe, aber das meiste davon ist leider mühsam zu lesen, nicht jeder Abenteurer ist ein guter Schriftsteller aber jeder schreibt über seine Eskapaden. Daher habe ich, obwohl ich mich schon für Abenteurer und Entdecker begeistern kann, kaum etwas davon gelesen. Allerdings gibt es Ausnahmen, wenn auch wenige, die ich umso begeisterter verschlungen habe. Allen voran der unnachahmliche, legendäre Major H. W. Tilman, Bill für seine Freunde, der mit alten, leckenden und auch sonst unbequemen Gaffelkuttern vornehmlich die hohen nördlichen und südlichen Breitengrade besegelt hat – um dort auf ebenso entlegene wie hohe Berge zu steigen. Mit sehr viel britischem Humor, trocken und köstlich wie ein sehr blasser Manzanilla von der Mündung des Rio Guadalquivir, hat er über diese epochalen Reisen, die ab und zu auch mit Schiffbruch endeten – Tilman selbst ist am Ende während einer solchen Reise mit Mann und Maus auf See verschollen – fulminante Berichte geschrieben. In dem Sammelband „The eight Sailing/Mountain Exploration Books“ sind alle vereint, leider nur auf Englisch, aber Tilmans Humor zu übersetzen wäre auch eine echte Herausforderung.
Oder, im Vergleich zu Tilman allerdings sehr deutsch und voller Ernsthaftigkeit und Bildungsbürgerlichkeit, das von Alfred Andersch verfasste Reisebuch „Hohe Breitengrade“ (auch sehr lesenswert aber leider nicht mehr lieferbar). Andersch, einer der ganz großen Schriftsteller, outet sich hier sozusagen auch als Polarliebhaber.
Und nun also Tina Uebel. Tina hat, wie sie wiederholt schreibt, ein Polarproblem: Seit sie vom Virus der hohen Breitengrade infiziert ist, will sie vor allem dorthin. Am liebsten immer wieder, immer weiter. Gut, dann habe ich jetzt ein Uebel-Problem. Ihr Buch zu lesen ist, als sei man an Bord, unterwegs, und genau das will ich dann auch im realen Leben wieder sein: Wieder an Bord. Wieder unterwegs. Als Liveaboard, ohne Beschränkung in Zeit und Raum. So zu schreiben ist Anstiftung!
Ihre Sprache, in der sie in diesem wunderbaren Buch von ihren Polarerlebnissen und sehr vielem anderen noch erzählt, ist geschliffen, intelligent, unterhaltsam, vor allem aber sehr Humorvoll und voller Selbstironie. Nur in wenigen, in ganz wenigen ganz winzigen Momenten fühlt sie sich etwas überkandidelt an – aber immerhin fühlt sie sich an, ihre Sprache, und das ist schon viel mehr als man von den allermeisten anderen Texten sagen kann. Ja, es ist ein Vergnügen dieses Buch zu lesen. Es bietet alles, man wird unterhalten, man lernt dabei aber auch noch eine ganze Menge. Vieles davon für die Kategorie „wichtige Fakten, die kein Mensch wissen muss“, aber immerhin. Ach, und übrigens, man lernt dabei auch Tina Uebel ganz gut kennen. Sympathisch!
Dabei ist dieses Buch für Segler und Nichtsegler gleichermaßen lesbar und gleichermaßen inspirierend, voller Exkurse und Gedanken und Anekdoten. Irgendwas wird sich jeder hier herausholen können und falls nicht, wäre derjenigen öden Person dann ohnehin nicht mehr zu helfen. Für Nichtsegler wird sogar der nautische Fachjargon erklärt („Landrattenexkurs“ steht dann da). Eine ebenso elegante wie einfache Lösung. Für Segler ist ja nichts ärgerlicher, als ein Segelbuch, das krampfhaft versucht spezifisches Segelvokabular zu meiden und dann die simpelsten Dinge ebenso mühsam wie albern umschreibt. Für Nichtsegler dagegen ist es natürlich frustrierend, wenn man einige Dinge, die da in fachchinesisch erklärt werden, nicht begreift. So wird die Autorin in diesem Buch, das ja eigentlich gar kein Segelbuch ist – oder doch? – beiden Seiten gerecht.
Also endlich ein Polarbuch, das wirklich lebendig und kurzweilig ist. Und inhaltlich natürlich auch aktuell wenn es, auch dies zum Glück mit Witz und Eloquenz, um Themen wie Ökologie oder Politik geht. Erfrischend wie ein Single Malt mit selbst geangeltem Gletschereis, den sich die Crew zuweilen gönnt und das Eis im Malt, was ja eigentlich ein Sakrileg ist, nur duldet weil es eben ein spezielles Eis ist. Reiseliteratur zu schreiben ist schwierig. Es gibt viel davon, aber nur sehr wenig was den Beinamen Literatur auch wirklich verdient. Dieses Buch gehört ganz ohne Zweifel zur sehr guten Reiseliteratur.
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