Laura Dekker, die noch sehr junge holländische Weltumseglerin, und Tina Uebel, die wortgewaltige Schriftstellerin aus Hamburg. Was haben die beiden gemeinsam? Nun, beide sind Seglerinnen, Abenteurerinnen. Und beide haben so ihre Erfahrungen und Überlegungen zum überfürsorglichen Staat, der sich so intensiv um das Wohlergehen seiner Bürger bemüht dass er jene am Ende vermutlich einfach erstickt. Es geht um den so genannten Nanny-Staat, um den Irrsinn, das Leben – vermeintlich – immer sicherer und sicherer zu machen, um den Wahn von Bürokraten, durch immer neue und immer absurdere Vorschriften und Gesetze unser Leben bis in das letzte Detail hinein regeln zu wollen.
Auf dem Literaturboot-Lesefest in Flensburg las Tina Uebel aus ihrem wundervollen Buch „Nordwestpassage für 13 Arglose und einen Joghurt“, darunter auch diese Passage:
„Chef erzählt, wie ihm Bürokratie und Überregularien das feuerländische Leben vergällen. Dass die Santa Maria unter chilenischer Flagge fahren muss, sonst darf sie nicht durch die Kanäle. Ein Schiff unter chilenischer Flagge wiederum dürfe er als Nichtchilene nicht führen; da er jedoch Residentenstatus habe, dürfe er auch mit einem nichtchilenischen Schiff, sprich, der Australis, nicht mehr einreisen oder rumreisen oder sich länger aufhalten, es ist zu bizarr, als dass ich’s wirklich verstünde, jedenfalls, er darf eigentlich gar nichts mehr fahren. Und nebenbei sei es nicht einmal mehr einer Privatperson, egal welcher Nationalität, erlaubt, mit dem eigenen Kayak in der Bucht zu paddeln, man könnte sich schließlich gefährden. Wie lange Bergtouren noch gestattet sein werden, ist fraglich. Ich, die ich gerade über die europäische Nanny-State-Tendenz lamentiere, höre und staune. Imaginierte ich doch zumindest am südamerikanischen Ende der Welt einen Rest von Laissez-faire, ein wenig unüberwachte Freiheit. Aber Pustekuchen. Die Welt wird enger, immer, überall, minütlich. Man passt auf uns auf, ununterbrochen. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass unsere Gesellschaft jede Form von Eigenverantwortlichkeit erst unterbindet, dann verlernt. In meiner oberösterreichischen Zweitheimat ist ein Wanderweg seit Jahren gesperrt, weil ein dort verunfallter Mensch den Staat oder die Gemeinde oder die Berge an sich verklagt hat. Hat doch nicht mehr der Bergwanderer achtsam zu sein, sondern der Staat für risikofreie Berge zu sorgen. Neulich stolperte in meinem Lieblingstangoschuppen eine Dame auf ihren hohen Absätzen über eine Stufe, und anstatt sich einen Blindfisch zu schelten befand sie, man solle die Betreiber eigentlich verklagen. In Kassel gibt es ein »Treppenanlage – Betreten auf eigene Gefahr«-Warnschild an einer stinknormalen Treppe. Ich will eine solche Welt nicht. Eine stufenlose Welt mit barrierefreien Bergen und Helmpflicht bei jeglicher Tätigkeit. Es ist mein Bier, wann ich Helme trage oder nicht, es geht keinen was an, welche Wege ich mir zutraue. Ich will nicht in präventiver Schutzhaft leben. Ich bestehe auf dem Recht, mich in die Scheiße reiten zu dürfen und, falls ich es für nötig befinde, auch darin umzukommen. Ohne dass sich irgendjemand da einmischt. Bitte. Die chilenische Gesetzgebung klingt nach Fortsetzung von Mutti mit anderen Mitteln. So möchten wir Erwachsenen die Welt nicht haben, bitte. Danke.“
Danke, Tina! Dem kann ich eigentlich nichts hinzufügen. Nichts, außer der haarsträubenden Geschichte von Laura Dekker, deren Buch ich gerade lese („Ein Mädchen, ein Traum“: Rezension folgt sehr bald!). Sehr fürsorgliche Bürokraten hatten ihr verboten, ihre geplante Weltumsegelung zu starten. Ganz besonders fürsorgliche Beamte wollten sogar ihren Eltern das Sorgerecht entziehen, Laura wohl am liebsten gleich in ein Erziehungsheim stecken. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Behörden in der Wahl ihrer Mittel ganz und gar nicht zimperlich waren, wenn es nur gelänge, das Mädchen, das so dringend auf See wollte, ans Land zu fesseln. Mittels einer vorsätzlichen Täuschung – Laura wurde gesagt, ihr Boot solle für einen neuen Sponsor hergerichtet werden – wurde dem Mädchen ihr Schiff weggenommen, konfisziert, amtlich gestohlen, nennen wir es, wie wir wollen: Das hat schon kriminelle Züge. Das sie es am Ende doch noch geschafft hat, loszukommen, grenzt an ein Wunder. Dabei wurden Laura und ihr Vater, der sie an Bord von den Niederlanden aus bis nach Gibraltar begleitete, von den Behörden buchstäblich bis nach Portugal verfolgt – eine echte Räuberpistole.
Dann hat sie, endlich, ihre Reise gemacht, ist ohne größere Probleme alleine um die Welt gesegelt und wird seither gefeiert. Nun ist es, auch heute noch, nicht mal eben so eine Kleinigkeit, um die Welt zu segeln; alleine und als Teenager erst recht nicht. Was, aber, war die eigentliche Schwierigkeit? Überhaupt erst einmal los zu kommen. Ihr Recht (?) auf ein selbst bestimmtes Leben wahrzunehmen. Sich aus der „fürsorglichen“ Umklammerung des Staates zu befreien. Daran, nur daran wäre ihre Reise um ein Haar gescheitert. Sie selbst sagt, sinngemäß, dass die Zeit vor ihrer Abreise ungleich schwieriger war, als alles, was sie anschließend unterwegs erlebte.
Selbst, wenn es darauf überhaupt ankäme in diesem Zusammenhang: Die Idee der alleine Hochsee-segelnden Teenager ist weder neu noch revolutionär: Schon Ernst Aebi hatte von diesem Konzept gehört. Der Schweizer Künstler, der damals in New York lebte, dachte sich für seine Tochter Tania etwas ganz besonderes aus, um den „flippigen Teenager in kulturtypischer Adoleszenz-Krise (Gammel, no future, kein Bock auf die Schule), belastet durch eine kaputte Elternbeziehung“ (so der Klappentext des später darüber erschienen Buches) von den Straßen der Lower East Side herunter zu holen. Er kaufte ihr ein Boot, eine winzig kleine aber seetüchtige Contessa 26, und schickte sie auf eine Solo-Weltumsegelung. Allerdings hatte sich die damals 18-jährige schon ein wenig Segelerfahrung aneignen können, als sie einige Jahre davor mit ihrer Familie über den Atlantik geschippert war. Ergebnis: Die Tochter wurde unterwegs erwachsen und glücklich, traf dabei auch gleich den Mann fürs Leben und schrieb einen Bestseller der Segelliteratur (Tania Aebi: Maiden Voyage. Die deutsche Fassung, „Die Welt im Sturm erobert“, ist derzeit nicht lieferbar). Voll ins Schwarze getroffen!
Übrigens hat Tania Aebi ein sehr lesenswertes Vorwort zu Lauras Buch geschrieben.
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