Stephan Boden schmiss 2012 seinen Job als Werbefilmer hin, kaufte nach ein paar Jahren Segelabstinenz mit einer Varianta 18 ein wesentlich kleineres Boot als zuvor und startete zum „Downsizen“ eine Ostseeumrundung. Mit an Bord seiner „Digger“ waren Neu-Freundin Kathleen und Bordhund Polly. Ich erfuhr von dieser Tour erst, als ich die „Digger“ danach auf Wassersportmessen sah und gönnte dem Trio im Nachhinein seine Tour. Mir Stephan Bodens Facebook-Postings und Blogeinträge anzuschauen, kam mir nicht in den Sinn.
Was sollte er mir schon groß Neues erzählen? Bei Erdmann, Roever, Hauck, Irrgang, Böckler und Knight (der war 1887 mit seiner „Falcon“ unterwegs) habe ich mehrfach gelesen, wie schön die Ostsee ist und dass Zeit für die Erkundung zu haben ein Traum ist. Wohl wahr. Da die „Digger“-Fangemeinde meiner Gleichgültigkeit zum Trotz aber längst beeindruckende Ausmaße angenommen hatte, war der logische nächste Schritt eben doch, den Reisebericht noch mal zwischen Buchdeckel zu packen.
Der erste Eindruck ist toll. Der mattschwarze Titel sieht super aus und fühlt sich gut an. Die Fotos auf der Rückseite müssten für meinen Geschmack jedoch nicht so düster sein. Ich lese los. Nach 70, 80 Seiten halte ich kurz inne und frage mich: „War was?“ Werbefilme über Jogi Löw zu machen, ist langweilig (das finde ich nicht verwunderlich) und 49 Knoten auf einem Highspeed-Hydrofoiler zu segeln ist für Otto-Normalsegler auch nicht die Erfüllung (auch nachvollziehbar). Deshalb Bodens Erkenntnis, dass ein kleines Boot dich dichter dran sein lässt: am Segeln, an den Elementen, am Besinnen auf das Wesentliche. Keep it simple also. Keine neue, aber eine sehr gute Erkenntnis. „Je kleiner das Boot, desto länger hat man was vom Segeln.“ So oder so ähnlich sagen die Niederländer. Stimmt genau, oft genug selbst auf kleineren (okay, sechs bzw. zwölf Fuß länger als „Digger“), meist ollen Schiffen erlebt. Die Vorliebe meines Fast-Namensvetters, auf einem krachneuen Plastikboot unterwegs zu sein, an dem keinerlei Reparaturen anfallen, teile ich hingegen nicht. Für mich hat das gelegentliche (!) Rumschrauben am Boot durchaus auch schon etwas Erholsames. Oder rede ich mir das nur ein, weil ich nicht die Rücklagen eines Werbefilmers habe?
Das Buch erzählt jedenfalls davon, dass der Ursprungsplan der Ostsee-Umrundung im miserablen Sommer 2012 in die Tonne gehauen und die dänische Küste von Sæby aus auch wieder nach Süden gesegelt wurde. Mal regnete es zu viel, dann war zu viel Wind und empfindlich kalt war es die meiste Zeit ebenfalls. Die Aufenthalte in den einzelnen Häfen dauerten häufig mehrere Tage lang. Wirklich was über Land und Leute erfahren wir aber dennoch nicht. Stattdessen lese ich, wann die „Digger“-Crew abends Bier, wann Rotwein oder wahlweise Gin Tonic getrunken hat. Zur Feier der Umkehr-Entscheidung im Norden Dänemarks wurden zwei Flaschen Weißwein zum noblen Fischessen geleert. Ist das WLan im Hafen schnell, lassen sich EM-Fußballspiele sogar an Bord auf dem Laptop anschauen. Die Duschräume in Mjelsvig sind „sehr sauber“ und Grenå der Horrorhafen für Boden. Auf Facebook postet er, dass er wegen der unverschämten Strompauschale die ganze Nacht den Heizlüfter auf dem Steg laufen lassen will. Mich nerven die in die prall gefüllten Textseiten eingeklinkten Bildchen von Facebook-Postings. Mit „Danke ihr Schauerböen!“, „Kacken Quallen?“ oder „Where the hack is global warming?“ kann ich schon online nichts anfangen. In einem Buch dann aber gleich zwei Mal nicht.
QR-Codes auf Buchseiten mag ich auch nicht. Ich bin wohl, obwohl jünger als der Autor, ein ziemlich altmodischer Leser. Da mich das Kurzvideo von Schweinswalen, die „Digger“ begleitet haben, dann aber doch interessiert, schaue ich mir erstmals die Homepage www.diggerhamburg.com an. Und werde hier – wider Erwarten – positiv überrascht. Bodens häufig prolligen Texte über Belanglosigkeiten machen mir hier mehr Spaß als im Buch. Hier stören mich Buchstabendreher, vergessene Worte und Rechtschreibfehler – anders als im Buch – (fast) nicht. Hier stelle ich sogar fest, dass Stephan Boden ein durchaus passabler Fotograf ist. Im Buch stechen gerade mal eine Handvoll Aufnahmen aus dem düsteren Mittelmaß hervor. Auf der Homepage entdecke ich in mancher Galerie wirklich tolle Fotos. Interessiert mich ein Blogeintrag schon beim Anlesen nicht, scrolle ich eben zum nächsten. Das klappt ganz selbstverständlich, während es gar nicht mein Ding ist, in einem Buch einfach Seiten zu überblättern.
Stephan Boden war auch 2013 wieder auf der Ostsee unterwegs, diesmal allein und immer noch fleißig davon berichtend, erfahre ich. Da werde ich in Zukunft durchaus gelegentlich noch mal auf der Homepage nachschauen, wie es mit „Digger“ weitergeht. Zum Thema „Besinnung auf das Wesentliche“ greife ich gerne Bodens Zitat aus „Walden oder Leben in den Wäldern“ am Anfang seines Buches auf. Mal wieder was von Henry David Thoreau lesen. Das ist eine gute Idee.
Und das Digger-Buch? Das habe ich bis zum Ende gelesen – da bin ich, wie erwähnt, altmodisch. Was auch gut war, da die letzten Seiten die besten des ganzen Buches sind. Das Entrümpeln hat Stephan Boden auf sein komplettes Leben übertragen. Weniger materieller Besitz, mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Genau! Ich werde das Buch also an einen „echten Digger-Fan“ verschenken und gelegentlich online nachschauen, wo das kleine Bötchen gerade gesegelt wird.