Sie ist so alt wie die Seefahrt selbst: Die Sehnsucht nach dem, was hinter dem Horizont liegt. Einfach die Segel setzen und alles hinter sich lassen. Keine Staus, kein Schmuddelwetter, keine Steuererklärung. Kein Stress. Das Paradies?
Ein Weltumsegler muss heute vielleicht noch viel mehr Abenteurer sein als die Pioniere in den seligen 1950er und 60er Jahren. Was hatten die schon auszustehen. Überall wurden sie mit offenen Armen empfangen, als eine der ersten Segler, von freundlichen Südseeinsulanern mit Geschenken überhäuft und zum Häuptling ehrenhalber ernannt, von gelangweilten Kolonialbeamten in deren Residenzen eingeladen und verwöhnt, von den Bürokraten an Land – meist – ignoriert und in Ruhe gelassen. Und nach ihrer Rückkehr in die Heimat – sofern diese denn stattfand – wurden sie begeistert gefeiert. Durften Bestseller schreiben und Vorträge halten, Autogramme geben und Honorare einstreichen. Und damit eine ganz bestimmte, sehr reizvolle und hübsche Romantik pflegen, die sich in vielen ansonsten durchaus klugen Köpfen fest eingenistet hat.
Die Realität heute ist ernüchternd. Die größte Müllhalde des Planeten befindet sich nicht an Land, sondern treibt irgendwo auf den Weltmeeren herum. Piraten kapern und morden, korrupte »Immigration Officers« fordern ganz unverhohlen ihr Bakschisch ein, Kleinkriminalität (»I watch your dinki, man!«) begegnet uns auch an karibischen Traumstränden. Yachten, beziehungsweise deren Besatzungen, sind an vielen Orten der Welt vor allem dazu da, um ausgenommen zu werden. Im besten Fall auf noch einigermaßen zivilisierte Art, durch Liegebühren oder Werftrechnungen.
Man muss gar nicht weit segeln, um auf kreative Art von seinem Geld erleichtert zu werden. Zum Beispiel England. An einem sonnigen Frühjahrstag segelten Anke und ich einst zwischen steilen Felsen hindurch in den hübschen Fluss Dart hinein. In Dartmouth machten wir unser Schiff an einem Schwimmsteg im Strom fest. Ein großes Schild auf diesem Ponton verkündete, dass man am nächsten Morgen spätestens um 08.45 Uhr abzulegen hätte, da dies tagsüber der Anleger für die Fährboote sei, und dass die Liegegebühren für Schiffe unserer Größe fünf Pfund betragen würden. Tja, dachten wir uns, fünf Pfund für einen kommerziellen Fähranleger mitten im Fluss zu verlangen, den man frühmorgens verlassen muss und auf dem es ansonsten keinerlei Einrichtungen gibt, ist zwar schon etwas frech, aber auf das Zahlen teurer Gebühren hatte man uns in England bereits konditioniert.
Am nächsten Morgen kam ein junger Mann daher um zu kassieren.
»Good morning, Sir«, sagte er und eröffnete die Feindseligkeiten in einigermaßen zivilisierter Art. »Das macht dann, ähm, zehn Pfund, bitte!«
Ich lächelte nachsichtig und wies auf das Schild. »Sollten es nicht fünf Pfund sein?«
»Ja. Fünf Pfund, um am Ponton zu liegen, plus fünf Pfund Gebühren, um auf dem Fluss zu sein.«
»Ist der Fluss denn Privateigentum?«, hörte ich mich scherzen.
»Indeed, das ist er«, sagte der junge Mann ernsthaft. »Er gehört Prinz Charles, dem Graf von Cornwall.«
Darauf muss man erst einmal kommen. Beim Fahrtensegeln in Norwegen hat uns bislang noch niemand fürs Ankern zahlen lassen, um König Haralds neue Rennyacht zu finanzieren. Ebenso wenig würden wir damit rechnen, einen Beitrag zu Juan Carlos‘ neuestem Racer leisten zu müssen, indem wir unseren Haken irgendwo vor Ibiza fallen lassen. Aber immerhin sind dies ja auch Seglerkollegen, vielleicht liegt darin der Unterschied…
Da kann man doch gleich in die Südsee segeln, höre ich jetzt den einen oder anderen sagen. Soll es da besser sein? Tahiti ist das wohl teuerste Land der Erde. Als Segler muss man dort immer noch eine saftige Kaution hinterlegen, um nötigenfalls von den Behörden zurück nach Europa ausgeflogen zu werden – als wolle im Ernst irgendjemand auf Dauer bleiben, wo eine Dose Bier soviel kostet wie anderswo ein Filetsteak.
Einfach nur eine gute Zeit an Bord haben, das geht hier in Europa auch. Die Infrastruktur an Land stimmt, auch was Bars und Restaurants betrifft. Häfen, sogar sichere, gibt es haufenweise. Aber eine Atolldurchfahrt im Monsunregen bei Strom und Dunkelheit? Ein rolliger Ankerplatz in der Karibik? Moskito-Alarm im Hurricane-Hole? Muss ich mir das wirklich noch geben?
Vielleicht bleibe ich in Zukunft doch besser an Land und genieße das gelegentliche Segeln an den Wochenenden und im Urlaub. Und lese dabei von all den wunderbaren Abenteuern der frühen Weltumsegler und Rekordjäger…