Ein Paddler bin ich nicht, aber als Segler kenne ich natürlich das Meer und die Launen der Elemente dort aus eigener Erfahrung. Umso beeindruckender ist für mich das Buch „Hai Heels“ über eine Frau, die alleine in einem Seekajak einmal rund um Australien paddelte – einem ganzen Kontinent, wo es im Wasser und an Land von giftigen und bösartigen Tieren nur so wimmelt: Giftige Quallen, Seeschlangen, Haie, Krokodile und was weiß ich noch für heimtückische und bösartige Viecher. Reiseschriftsteller Bill Bryson schrieb über Australien alias »Oz«: »Nur die Antarktis ist lebensfeindlicher!«
Einen Seekajak bewegt man nur mit Muskelkraft, viel Platz hat man darin auch nicht. Eingezwängt in eine unbequeme sitzende Position, immer nass, und dass Tag für Tag bis zu 12, 13, 14 Stunden am Stück manchmal. Unvorstellbar, für mich. Dazu die Ausrüstung und etwas Proviant auf dem winzigen Bötchen verstaut. Man sitzt praktisch auf der Wasseroberfläche, jede größere Welle spült einfach über einen hinweg – gibt es eine mühevollere Art, sich auf dem Wasser zu bewegen?
Nun kommt diese Frau, Freya Hoffmeister, aus Norddeutschland. Der Autor des Buches, Joe Glickman, trifft sie erstmals als der freie Journalist und Autor ein längeres Interview mit ihr plant, in San Juan, Puerto Rico, wo sich etliche Paddler für einen internationalen Wettbewerb trafen. Seither, also im weiteren Verlauf des Buches, versucht Glickman dem Phänomen Freya Hoffmeister irgendwie näher zu kommen, es zu ergründen – ohne wirklichen Erfolg. Diese Frau ist beeindruckend, bis hin zu dem Punkt wo sie schon fast furchteinflößend wirkt. Und, nebenbei, auch ziemlich Deutsch: Sehr effektiv, sehr diszipliniert, eher humorlos und zumindest nach Außen hin eher Gefühlskalt. Immer wieder wundert Glickman und mit ihm der Leser sich über Freya, die keine Angst kennt, die sich alles, aber auch wirklich alles zutraut und die das scheinbar Unmögliche nicht nur mit einer ungeheuren Energie und einem an Ignoranz grenzendem Selbstvertrauen angeht, sondern auch schafft. Zuweilen wirkt sie wie eine Maschine, dann aber, sehr selten, kommen zwischen den Zeilen hier und da zum Glück auch doch noch menschliche Züge hindurch. Im Laufe des Buches entsteht so ein durchaus differenziertes Bild dieser wohl nur oberflächlich betrachtet starken und simplen Persönlichkeit; während sich ihr großes Abenteuer, alleine rund Australien, nebenbei entfaltet. Aus ihren emotional spärlichen, aber mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks fast täglich erschienenen Blogeinrägen alleine wäre ein ziemlich eindimensionales und langweiliges Buch geworden – doch Glickman schafft es, eine wirklich spannende Lektüre daraus zu machen in der eben die Frau, und auch Australien, im Mittelpunkt stehen. Die Reise an sich ist hoch spannend aber für mich in diesem Buch nicht unbedingt das Entscheidende.
Fazit: Sehr lesenwert, auch für Nicht-Paddler wie mich.
Das schreibt Stefan Schorr, der im Gegensatz zu Detlef Jens (auch) Paddler ist:
„Ich schreibe es, aber vielleicht wirst du es nicht mögen.“ Welch ein Glück, dass Freya Hoffmeister trotz dieser Ankündigung von Joe Glickman bei ihrem Wunsch blieb, den Autor für ein Buch über ihre Australien-Umrundung zu gewinnen. Das schrieb der Brooklyner aus New York nämlich meisterlich.
Die Husumerin Freya Hoffmeister war als Turnerin, Bodybuilderin und Fallschirmspringerin aktiv, bevor sie zum Paddeln kam. 1997 stieg sie ins Kajak – mit ihrem Sohn Helge bei Touren auf ruhigen Gewässern in Norddeutschland in der Gepäckluke. 2003 unternahm Hoffmeister erste Meerestouren, wurde schnell eine Meisterin im Beherrschen der unterschiedlichsten Varianten der Eskimorolle und absolvierte Extrem-Langstreckenfahrten. Island umrundete sie mit dem US-Amerikaner Greg Stamer 2007 in neuer Bestzeit von 33 Tagen. Für die Umrundung der neuseeländische Südinsel 2008 brauchte sie sechs Tage weniger als die Langstrecken-Paddellegende Paul Caffyn.
Dessen 1981 durchgeführte 16.160 Kilometer lange Schinderei um den australischen Kontinent mit langen Steilküstenabschnitten, weißen Haien hier und Salzwasserkrododilen dort, galt für fast 30 Jahre als nicht wiederholbar. Freya Hoffmeister wollte die Umrundung Australiens jedoch nicht nur wiederholen, sondern Caffyns Zeit von 360 Tagen unterbieten. Unter australischen Paddlern hatte die „große, harte, deutsche Tussi, die weder Bescheidenheit noch Sinn für Humor hat,“ schnell den Ruf der Größenwahnsinnigen weg. Joe Glickman entschied sich nur widerwillig dafür, das Buchprojekt über Hoffmeisters „Race Around Australia“ in Angriff zu nehmen.
Selbst Marathonpaddler bringt Glickman die nötige Erfahrung mit, um die außergewöhnliche Leistung Hoffmeisters gebührend zu würdigen. Sie paddelte nämlich tatsächlich in 332 Tagen 13.790 Kilometer um den australischen Kontinent. Unter anderem durch die achttägige Querung des 576 Kilometer breiten Golfs von Carpentaria gelang ihr die Umrundung 28 Tage schneller als Paul Caffyn.
Das Buch beschreibt diese außerordentliche Mammuttour nicht nur anhand von Freya Hoffmeisters Blog-Beiträgen und persönlicher Gespräche mit der Ausnahme-Paddlerin. Glickman fügt interessante (in Freya Hoffmeisters Augen „etwas langweilige“) Fakten zur Küste hinzu und versucht, durch Gespräche mit Hoffmeisters Schwester und mit dem Lebensabschnittsgefährten und Begleiter an Land auf 1.000 Kilometern der Tour, Greg Bethune, zu ergründen, wie Freya Hoffmeister tickt. „Was sie erreicht hatte, war mehr als bewundernswert, aber ihre Persönlichkeit stellte mich vor ein Rätsel, ja sie frustrierte mich sogar – besonders weil sie es vermied, Bescheidenheit auch nur vorzutäuschen“.
So entstand ein vielschichtiges, hoch interessantes Buch, in dem auch zur Sprache kommt, dass das „Sexiest Woman in Kayaking“-Getue der Ausnahmesportlerin eher nervig ist. Ihre Attraktivität wäre sicher auch ohne Dauerhinweise auf Nacktbaden, ausschließlich schwarze Kleidung und vermeintlich erotische Posen aufgefallen. Am Ende überwiegt bei Joe Glickman (wie auch dem Leser) jedoch die Ehrfurcht und Bewunderung für Hoffmeisters Leistung. „Bevor ich Freya zum ersten Mal traf, hatte ich mich oft gefragt, wie es wohl wäre, ohne Furcht zu paddeln“, schreibt Glickman. „Nun hatte ich meine Antwort. Wie sich ihre Anmut und ihr Mut unter Druck erst richtig entfalteten, macht die Tour zu etwas Einzigartigem, zu einer Leistung, in der Kraft und eine besondere Art von Schönheit widerhallen. Und es schadet nichts, dass das störrische Mädel sie ganz in Schwarz hinter sich gebracht hat.“ Der Hunger nach Rekorden ist bei der vielleicht besten Seekajakerin aller Zeiten übrigens noch lange nicht gestillt. Zurzeit umrundet sie Südamerika und nennt die Tour ihr „Second Continent“-Projekt.
Mankos? Nun, ob das Titelbild nun in erotischer Hinsicht „heiß“ ist, mag jeder selbst entscheiden. Fototechnisch „scharf“ ist es jedenfalls nicht. Deshalb gehört es ebenso wenig auf ein Buchcover wie der selten dämliche Titel „Hai Heels“, der statt der Übersetzung des englischen Originals „Fearless“ gewählt wurde.