Hört man das Wort „Copacabana“, wird damit allerlei assoziiert: Strand und Sonne zum Beispiel, aber auch Samba und Bossa Nova, Fußball und leichtbekleidete Schönheiten mit braunen Teint. Dawid Danilo Bartelt hat sich dankenswerterweise der Aufgabe angenommen, die Historie des vermutlich bekanntesten Stadtstrandes der Welt aufzuschreiben.
Das kenntnisreiche und unbedingt lesenswerte Buch des Leiters der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio des Janeiro ist vieles in einem: Es erzählt zum einen die Architektur- und Stadtgeschichte des Viertels Copacabana, das hinter dem Strand der viereinhalb Kilometer langen Bucht liegt. Darüberhinaus erfährt man viel über Sitten und Sozialbeziehungen in Rio de Janeiro – nicht zuletzt auch über den Strand als vermeintlich „demokratischen Ort“, an dem alle Hautfarben und Klassen zusammenkommen.
Die Copacabana war zunächst ein Dorf und beschwerlich erreichbar, weil es eine Felsenkette von der Stadt trennte. Dann wurde 1892 ein Tunnel für eine Straßenbahn gebaut und der Aufenthalt am Strand allmählich gesellschaftsfähig – ursprünglich als neues Wohn- und Freizeitkonzept für den Geldadel, der Villen baute und eine noble Blässe pflegte, bis in den 1920er Jahren langsam das „Braunsein“ in Mode kam. Das Viertel hinter dem Strand erlebte derweil einen Boom und wurde zum ersten Ort Brasiliens, wo sich das Appartement als vorherrschende Wohnform durchsetzte. In den 50ern wurde an der Copacabana schließlich der Bossa Nova erfunden – als „neue Musik zwischen Appartement und Meer“, so Bartelt. Mit dem Bossa wurde auch die natürliche Schönheit Rios zum Thema, seine traumhafte Lage am Meer: „Ein Tag voller Licht, ein Fest der Sonne, und unser Kahn ist startklar“, heißt es im Klassiker „O Barquinho“, das Bötchen. „Unser Lied hat keinen Zweck, kein Ziel / Es kommt aus dem Meer selbst / Und die Sonne küsst das Boot, und Licht / Und Tage so blau, so blau.“
Der Bossa Nova, schreibt Bartelt „wird immer die Musik der letzten großen Zeit Copacabanas bleiben: ihr Schwanengesang“. Das Viertel war inzwischen lückenlos mit Appartementhochhäsuern bebaut und zwischenzeitlich eines der dichtestbesiedelten Quartiere weltweit. In den 1970ern kamen dann die Arbeiter aus der entfernteren „Nordzone“ und den Favelas Rios in Massen an den Strand. Heute sind die Reichen und Schönen längst weiter nach Ipanema oder Barra da Tijuca gezogen. Dennoch lebt der Mythos der „Copa“ – wenn auch überwiegend wohl nur noch in den Augen der Touristen, für die ein Besuch der Copacabana weiter ein Muss ist.
Bartelts macht in seiner Abhandlung im Übrigen deutlich, dass der Strand in Brasilien fraglos ein öffentlicher Ort ist, zu dem jeder Zugang hat. Dieses „Allgemeinheitsprinzip“, auf das die Brasilianer mit Recht stolz könnten, dürfe man aber nicht mit einem „Gleichheitsprinzip“ verwechseln: Am Strand sitzt der Arme neben dem Reichen, doch das Verhältnis der beiden ändert sich dadurch nicht.
In einer Sammelbesprechung über neue Bücher aus Brasilien hat der Soziologe Detlef Claussen Bartelts Abhandlung in der „tageszeitung“ mit einigem Recht gerade als „Highlight der diesjährigen Brasilienliteratur“ bezeichnet – und auf die heimlichen, auch von Bartelt gewürdigten Helden von Copacabanas Appartementzone hingewiesen: Die „porteiros“, die Hausmeister, ohne die der Zauber, den die Copcabana gelegentlich noch heute ausstrahlt, gar nicht möglich wäre: „Denn hinter all dieser visuellen und geschmacklichen Opulenz stecken die Ambitionen hart arbeitender Menschen“, die, so Claussen, „eine Krone der antiken Philosophie als Lebensmaxime praktizieren: Carpe diem! Dem kann man sein Herz einfach nicht verschließen.“
Weitere Literatur über Brasilien:
Oscar Niemeyer: Wir müssen die Welt verändern
Stefan Zweig: Brasilien, ein Land der Zukunft
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