Dieser 700-Seiten Wälzer mit über 400 Fotos ist eine wahre Schatztruhe für jeden Dylan-Fan. Ein toll gemachtes Buch, grafisch sowieso, aber eben auch inhaltlich eine fast nie versiegende Quelle an spannenden Informationen über Bob Dylan. Es geht hier um die Hintergründe zu seinen Songs, und zwar zu allen seiner Songs, was an sich schon eine unglaubliche Rechercheleistung ist, bei diesem riesigen Lebenswerk eines Künstlers, der sich ja auch gerne immer mal wider komplett neu erfand, seine Stilrichtungen in der Musik ebenso änderte wie „Messages“ seiner Texte. Festlegen und festnageln ließ er sich jedenfalls nie, vereinnahmen von irgendeiner politischen Gruppe, selbst zu seinen Zeiten als einflussreichster Protestsänger der USA, erst recht nicht. Tatsächlich sagte er selbst ja öfter, er schreibe keine politischen Lieder.
Einer seiner Lieblingssongs stammt aus seinem Frühwerk, sozusagen: The Times They Are A-Changin’ schrieb er im Herbst 1963. „Er denkt dabei an die alten irischen und britischen Balladen, die er bei seinem Aufenthalt in London im Dezember 1962 gehört hat. Im Gegensatz zu Masters of War und A Hard Rain’s A-Gonna Fall handelt dieses Lied nicht von einem besonderen Thema, sondern bringt ein Gefühl zum Ausdruck, das von vielen geteilt und herbeigesehnt wird. Die Sechzigerjahre bringen tiefe Veränderungen mit sich . …“ Detailliert geht der Buchtext auf die Gedanken ein, die Dylan zu jener Zeit umtrieben, und auch darauf, wie der Song in der Öffentlichkeit aufgefasst wurde. Sowie auch die Zeitgeschichte: „Weniger als einen Monat nach der Aufnahme des Liedes wird John F. Kennedy in Dallas ermordet. Und bald darauf ziehen die GIs in großer Zahl in den Vietnamkrieg.“ Die Zeiten ändern sich, fürwahr, so wie wir es in diesem Augenblick auch gerade wieder erleben. 1963 geschrieben, ist dieser Song auch heute aktuell.
Aber es geht natürlich nicht immer um Weltgeschichte. Aus den Songhintergründen ergeben sich vor allem auch die Hintergründe von Dylans Dasein, zumindest teilweise, es ergeben sich jedenfalls immer mal wieder spannende und überraschende Einblicke in seinen Lebenslauf. Viele Songs versteht man plötzlich, nach dieser Lektüre, oder sieht beziehungsweise hört sie ganz anders als vorher. Allerdings, selbst hier gilt: Literaturboot-Leser wissen mehr! Wenn es um seine Leidenschaft fürs Segeln in der Karibik geht, zum Beispiel. Im Buch gibt es einen knappen Hinweis darauf, immerhin, denn Dylan hat ja tatsächlich viele Songs in der Karibik geschrieben, beim Segeln, und hat sich auch von den schwarzen Musikern dort und vom Reggae kräftig inspirieren lassen. Alles dazu konnte man schon vor Monaten hier auf Literaturboot lesen: Karibisches Abenteuer. Im Buch steht dazu folgendes, zum Song Jokerman (1983): „Als Kurt Loder im März 1984 Bob Dylan für den Rolling Stone interviewte, erzählte dieser, wie Jokerman bei einem Aufenthalt in der Karibik entstand: »Ich und ein anderer Kerl hatten ein Boot da unten. Jokerman ist mir zwischen all den Inseln eingefallen. Sehr mystisch!…« Das Boot, die Water Pearl wie wir als Literaturboot-Leser wissen, kommt dann leider nicht weiter vor.
Noch ein Song, der zu den bekanntesten von ihm zählt. Knockin’ On Heaven’s Door wurde 1973 aufgenommen, ein Titel aus dem Soundtrack zu Sam Peckinpahs Western Pat Garrett jagt Billy the Kid, in dem Dylan sogar eine kleine Rolle erhielt – wohl nur, damit er den Soundtrack zum Film schrieb. Jedenfalls, der Filmsong den Bob Dylan tatsächlich während der Dreharbeiten in Durango, Mexiko geschrieben hat, wurde einer seiner berühmtesten Hits und von etlichen anderen großartigen Musikern gecovert. Der Text, zu einem sterbenden Sheriff, gerät – typisch Dylan wie es im Buch treffend heißt – mystisch. Und mehrdimensional: „…kann man darin eine Friedensbotschaft an Amerika sehen, das vom Vietnamkrieg und Watergateskandal traumatisiert ist, ja ein Angebt an den ganzen Planeten.“ Starker Tobak – ehm, Inhalt für ein Filmlied.
Das Buch jedenfalls ist auch ein Hit. Informativ, spannend, umfangreich und umfassend – selbst die Songs aus dem im Februar 2015 erschienenen Album Shadows in the Night sind schon dabei. Sehr empfehlenswert – wenn man sich für Bob Dylan begeistert.