Einige Menschen sammeln Briefmarken. Das Weltumsegler-Ehepaar Heide und Erich Wilts sammelt hingegen Weltmeere, auf denen es schon gesegelt ist. Deshalb beschließt es 2004 nach Nord- und Südatlantik, Nord- und Südpolarmeer, Indik und Südpazifik bei seiner siebten Weltreise den noch fehlenden Nordpazifik zu erkunden. Das vorliegende Buch beschreibt die letzte Reise der 1978 gebauten „Freydis II“, die bekanntlich 2011 vor Fukushima an der japanischen Küste zerstört wurde.
2006, 2007 und 2008 nutzen Heide und Erich Wilts die jeweils nur wenige Sommerwochen umfassenden Zeit- und Wetterfenster, um sich die Aleuten, den Golf von Alaska, das Beringmeer und die Tschuktschensee zu erschließen. Dabei steht das Naturerlebnis im Vordergrund: grandiose, wilde Landschaft, Wale, Bären und natürlich jede Menge Lachs. Heide Wilts begegnet aber ebenso sensibel und respektvoll der einheimischen Bevölkerung und versorgt ihre Leser mit wissenswerten Details zu den Inupiat, Yupiget und Yuit.
Was Otto von Kotzebue, Georg Wilhelm Steller, Vitus Bering oder Roald Amundsen an den von der „Freydis“ angelaufenen Küsten vor langer Zeit erlebten, erfahren wir durch immer wieder eingeschobene Rückblicke auf deren Fahrten. Was in neuerer Zeit an ethnologischen oder archäologischen Entdeckungen auftauchte ebenso. Heide Wilts hat fleißig gelesen, viele Gespräche mit den Menschen vor Ort geführt und auch in Deutschland noch mehrere Experten befragt.
Wie wohltuend es doch ist, solch ein intelligentes, gut recherchiertes, unterhaltsam geschriebenes Buch zu lesen. Natürlich wird auch der „ganz normale“ Segleralltag mit manch haarsträubendem Manöver hier, Angelversuchen oder Anlegerschluck dort beschrieben. Dieser Reisebericht bietet aber eben darüber hinaus eine reiche Fülle an Informationen. Und unterscheidet sich damit sehr angenehm vom langsam überhandnehmenden, bereits in Blogs während der Reise breitgetretenem BlaBla.
Während andere Autoren über ein paar hundert Seemeilen auf der Ostsee ein ganzes Buch füllen, widmet die vielgereiste Heide Wilts den 1800 Meilen von Vancouver bis San Diego im Jahr 2009 gerade mal fünf Zeilen. Statt – wie ursprünglich geplant – abermals Richtung Südsee und Neuseeland aufzubrechen, führt die noch frische Begeisterung für Alaska dort zu einem neuen Plan. Über Japan und Sibirien will das Paar ein weiteres Mal nach Alaska.
Nach einem Zwischenstopp auf dem Midway Atoll erreicht die „Freydis II“ 2010 Japan, wo es geschlossene Häfen gibt und für jede einzelne Insel ein „special permit“ erforderlich ist. Dank einer Kontaktperson kann das Inselhüpfen dennoch beginnen und erweist sich als äußerst stürmisch. Zur Kirschblüte laufen die Wilts die Iwaki Sun Marina im Osten der Insel Honshu an. Hier bleibt das Schiff für den heißen Sommer vertäut. Zurück in Japan erkunden seine Skipper den fremden und zugleich faszinierenden Norden Honshus sowie Hokkaido auf dem Landweg. Die Suche nach einem ausreichend starken Kran, der die „Freydis“ doch noch für die Überwinterung an Land heben könnte, bleibt jedoch erfolglos. Das Schiff wird im Oktober erneut im Hafen auf Honshu zurückgelassen.
Im März 2011 reißt sich die „Freydis“ durch den Tsunami in Fukushima los. Heide und Erich Wilts erfahren aus den Medien vom schweren Erdbeben in Japan und dem anschließenden nuklearen Gau im Atomkraftwerk Fukushima. Bange Tage folgen: ist die „Freydis“ gesunken? Oder irgendwo gestrandet? Ist sie verstrahlt? Letztlich wird das Schiff auf Felsen geschleudert gefunden und muss schweren Herzens aufgegeben werden. Lediglich einige Ausrüstungsgegenstände können geborgen werden. Heide Wilts schildert ihr Gefühlschaos zwischen Ungewissheit, Angst um liebgewonnene Menschen, Verlustängste wegen der unklaren Zukunft der „Freydis“ dramatisch und aufwühlend. Wirklich beeindruckend ist in diesem Teil des Buches, dass sie diese große Tragödie nicht über Gebühr ausbreitet und zu keinem Zeitpunkt jammert.
Nach 33 Jahren und 248.000 Seemeilen mit Heide und Erich Wilts endet das seglerische Leben der „Freydis II“. Als Mahnmal in einem Katastrophen-Gedenkpark in Japan soll das in drei Teile zerschnittene Schiff jedoch künftig an den Tsunami und die nukleare Verstrahlung erinnern und als Symbol der deutsch-japanischen Freundschaft dienen. Ein würdiges Ende. Heide und Erich Wilts ließen sich bekanntlich von dem herben Verlust nicht unterkriegen und sind längst wieder mit der Nachfolgeyacht „Freydis III“ unterwegs.
Lassen Sie sich auf keinen Fall vom fürchterlichen Titelbild des Buches abschrecken. „Alaska – Japan“ ist ein wirklich kurzweiliges, unterhaltsames, gut recherchiertes und hoch interessantes Buch. Heide Wilts ist eine wunderbare Mischung aus Segelbericht und Naturbeobachtung gelungen, mit weltgeschichtlichem Bezug und informativen Blicken in die Vergangenheit. Für mich der beste Segelreisebericht des Jahres 2013.