Sextant. Die Vermessung der Meere

„Das Ablesen von Zahlen an einem digitalen Display bietet eine äußerst magere und wenig befriedigende Erfahrung im Vergleich zur Gestirnsnavigation. Wer GPS nutzt, achtet nicht auf seine Umgebung und entfernt sich von der Natur; GPS verrät uns zwar genau, wo wir gerade sind, darüber hinaus aber lehrt es uns nichts.“

Wie viel hingegen lernte der 1953 in der Nähe von London geborene Autor David Barrie 1972, als er erstmals einen Sextant bediente. Ein älterer Freund seiner Familie hatte ihn eingeladen, mit ihm auf der zehn Meter langen Slup „Saecwen“ über den Nordatlantik zu segeln. Tagebucheinträge des damals 19-Jährigen lockern das rund 350 Seiten umfassende Buch immer wieder angenehm auf.

Das gut recherchierte Werk huldigt den „Generationen von Astronomen, Mathematikern und Instrumentenbauern, die die Gestirnsnavigation vervollkommneten, und all den beherzten Seefahrern, die mit einem Sextanten in der Hand die Ozeane der Welt kartierten“. Hydrografie und Navigation waren immer eng verwoben. „Um sich problemlos zurechtzufinden, braucht ein Seemann eine Karte, die die genauen Positionen all dessen angibt, was für die Navigation bedeutsam ist … Um solche Karten zu fertigen, muss der Hydrograf jedoch zunächst die genaue Lage all dessen kennen, was auf den Seekarten erscheinen soll. Die Hydrografie dient der Navigation, im ersten Schritt allerdings ist sie auf die Navigation angewiesen.“

Kenntnisreich zeigt David Barrie die kontinuierliche Weiterentwicklung der Navigations-Hilfsmittel auf: Himmelsscheibe von Nebra, Astrolabium, Seemannsastrolab, verschiedene Quadranten, Doppelwinkelmesser, Jakobsstab bis hin zum Sextanten. Auch erfährt der Leser etwas über Ephimeriden-Tabellen, Jupitermonde und die Monddistanzmethode.

Trotz der geballten Sachinformationen gelingt Barrie ein äußerst unterhaltsames Buch. Verknüpft er doch die vielen technischen Details gekonnt mit den spannenden, oft abenteuerlichen Reisen von James Cook, Louis-Antoine de Bougainville, La Pérouse oder George Vancouver. Vancouver segelte von 1792 bis 1794 rund 65.000 Seemeilen, um die amerikanische Westküste von Südkalifornien bis Alaska sowie Hawaii zu kartographieren. Obwohl die Kartographie eine gewichtige Rolle im Buch spielt, wird diese Tätigkeit leider nicht detaillierter erklärt. Auch wer sich für den alltäglichen Gebrauch des Sextanten auf See interessiert, erhält eher spärliche Informationen.

Joshua Slocum, der erste Einhand-Weltumsegler, war sich seiner navigatorischen Kenntnisse so sicher, dass er einen falschen Logarithmus in den Tabellen aufspürte – und sich darüber diebisch freute. Der glückliche Ausgang der Antarktis-Expedition von Sir Ernest Shackelton wäre ohne die Fähigkeiten des „Endurance“-Kapitäns Frank Worsley undenkbar gewesen.

Im gewohnt hochwertig gestalteten Buch, in dem das Lektorat einige kleine Fehler übersehen hat, stellt David Barrie mit Bedauern fest: „Das goldene Zeitalter der Gestirnsnavigation ist beinahe unbemerkt zu Ende gegangen.“ Aber er hegt Hoffnung. „So wie das Interesse an althergebrachten Schiffstypen, die in traditioneller Weise und allein nach den Erfordernissen von Seetüchtigkeit und Schönheit gebaut werden, wiederbelebt wurde, so warten vielleicht auch die Freuden der Navigation mit dem Sextanten auf eine Wiederentdeckung.“ „Der Sextant ist, wie der Anker, ein vertrautes Symbol der Seefahrt.“ Wünschenswert – aber auch sehr unwahrscheinlich – dass er das noch lange bleiben wird.

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