Interview Ann Rosman

Ich würde gerne an Bord eines Segelbootes leben!

Mitten im Winter traf ich die schwedische Krimiautorin Ann Rosman auf Koön, das zu Marstrand gehört. Am Tag zuvor hatte es mit Orkanstärke geweht, der Wasserspiegel war überall sehr hoch und die Straße nach Marstrand fast überschwemmt, so dass um ein Haar weder ich noch, wie sie dann sagte, ihr Mann hierher gekommen wären. Sie hatte auch ihre Kinder früher aus der Schule abgeholt, drüben auf der Insel Marstrand, denn wenn das Wasser zu hoch steigt kann die Fähre nicht mehr anlegen. Die Familie wohnt auf Koön, hat dort ein altes Haus gekauft das sie seit zehn Jahren renovieren, wie sie sagt, die Preise in Marstrand seien so hoch dass sie sich etwas anderes nicht hätten leisten können. Sie ist nett, offen, frisch; unkompliziert auch mit zweien meiner Kinder, die beim Interview während eines langen Mittagessens im Hotel dabei sind und sich schon bald langweilen. Es stellt sich heraus, dass sie auch eine echte Seefrau ist. Sie liebt Schottland, die äußeren Hebriden, die alten Geschichten von der schwedischen Westküste – und das Leben an Bord.

 Sind sie aus Marstrand?

Nein! Meine Mutter ist aus Göteborg und mein Vater aus Uddevalla. Jeden Sommer gingen wir segeln und hatten auch ein kleines Sommerhaus am Meer und dort fühlte ich mich immer am wohlsten. Das Meer hat mich mein Leben lang begleitet. Jeden Sommer segelten wir sechs Wochen lang und mein Vater hat immer mit den alten Fischern gesprochen, von denen es kaum noch welche gibt heute. Aber damals hörte ich all diese fantastischen Geschichten über das Leben an der Küste und wie hart es die Menschen hier früher hatten und das hat mich damals schon fasziniert.

Haben diese Geschichten sie zum Schreiben inspiriert?

Ich habe immer schon geschrieben aber ich habe das lange Zeit natürlich nicht als Job-Möglichkeit betrachtet. Und ich war schon immer diejenige, die an Bord das Logbuch geführt hat. Immer.

 Wie kamen sie nach Marstrand, und wie zum beruflichen Schreiben?

Mein Mann, er ist aus Marstrand und er hat mich hierher gebracht. Es ist alles seine Schuld (sie lacht dabei). Damals arbeitete ich in der IT Branche, mit Computern in einer Firma, die auch mit Ölplattformen zu tun hatte. Wir stellten die Unterkünfte auf den Förderplattformen her. Als PR-Projekt renovierten wir nebenbei den alten Leuchtturm von Pater Noster. Dessen Geschichte faszinierte mich natürlich gleich wieder und dann traf ich auch noch den Sohn des letzten Leuchtturmwärters! Er erzählte mir aus den alten Zeiten und dann dachte ich an die vielen Geschichten die ich durch meinen Vater gehört hatte. Während meines ersten Mutterschaftsurlaubs hatte ich Zeit, viele Bücher und Krimis zu lesen und dann begann meine Fantasie zu arbeiten. Plötzlich fiel mir ein, dass der alte Leuchtturm von Pater Noster der perfekte Ort wäre, eine Leiche zu verstecken! Mein Mann war etwas geschockt, er dachte ich hätte eine depressive Phase oder ein Trauma nach der Geburt. Aber es war so, der Lauchtturm auf der winzig kleinen Insel wäre perfekt dafür. In den 1960er Jahren wurde der Turm automatisiert und alle zogen von der Insel weg. Also fantasierte ich, dass damals etwas passiert war und dass sie dann, beim Renovieren des Leuchtturms heute, eine Leiche aus vergangenen Zeiten dort fänden… das war die Idee für mein erstes Buch und weil ich im Mutterschaftsurlaub war konnte ich es auch schreiben.

 Wie ging das?

Mein erstes Buch erschien 2009, da war mein erster Sohn ein Jahr alt. Dann wurde mein zweiter Sohn geboren und ich kündigte meinen Job. Mein Verlag wollte noch ein Buch von mir haben und da dachte ich, wenn du das wirklich machen willst dann muss ich es jetzt tun. Das war nicht ganz so einfach, mit zwei Kindern, außerdem war es Sommer, die Sonne schien und alle anderen tranken Cafe Latte und genossen das Leben. Ich schrieb eigentlich nur die zwei Stunden täglich, in denen mein großer Sohn im Kindergarten war, und wann immer ich konnte. Es war wie gesagt nicht einfach aber ich dachte eben auch, wenn man etwas wirklich will dann muss man da durch.

Wie sieht denn heute ihr typischer Arbeitstag aus?

Gerade schreibe ich an meinem vierten Buch. Wenn alles klappt, bringe ich die Jungs weg und bin um acht Uhr wieder zuhause und beginne zu schreiben und hole die Kinder um 16 Uhr ab. Ich brauche auch diese Zeit, sonst würde es niemals gehen. Manchmal brauche ich alleine zwei Stunden um mir darüber klar zu werden, was an dem einen oder anderen Kapitel nicht stimmt. Ich brauche diese Zeit, auch wenn ich nur dasitze, dabei kann man nicht die Wäsche machen oder kochen. Ich schließe die Augen und vertiefe mich in der Geschichte. Ich gehe da richtig hinein. Denn ich habe ja immer zwei Dinge – einmal meine Krimigeschichte, gleichzeitig aber auch eine Geschichte aus der Vergangenheit, die aber miteinander zusammenhängen und die gegen Ende des Buches zusammenwachsen. Also denke ich: 1802, OK. Schließe die Augen und stelle dir das Leben in 1802 vor. Kein Telefon, nichts dergleichen, wie war der Alltag. Man muss sich da wirklich hineinfühlen, denn ich möchte ja auch dass meine Leser mir in diese alten, vergangenen Zeiten folgen. Ein Kapitel spielt heute, das nächste damals. Dann ist es Zeit die Kinder abzuholen obwohl ich vielleicht gerade so richtig „drin“ bin, dabei kann ich schon mal die Zeit vergessen und schauen dann auf die Uhr und denke: Mein Gott! Die Kinder! Nun aber schnell! Mein Mann arbeitet Vollzeit in Göteborg aber trotzdem versuchen wir, uns zu ergänzen. Allerdings kommt er spät nach Hause, manchmal ist auch Stau und dann steht er da eine Stunde lang…

 Erzählen sie uns mehr von ihrem Segeln!

Oh Jaaaa!!! Mein erstes Boot war eine kleine Jolle, zum lernen, dann segelte ich ja mit meinen Eltern. Mein Vater bestand aber darauf dass jeder an Bord wusste, wie man das Boot bedient, wie man ab- und anlegt, den Motor startet, die Manöver segelt. Darum übten wir das immer, Mann-über-Bord mit einem Fender und so etwas. Dafür bin ich sehr dankbar. Dann traf ich meinen Freund, meinen Ex-Freund sollte ich sagen, und während der Sommer gingen wir auf lange Segelreisen, nach Schottland, zu den äußeren Hebriden und so. Wir waren beide an der Uni und da hat man diese langen Sommerferien. Wir segelten nach St. Kilda und zu den Orkney-Inseln und zu all diesen fantastischen Orten, fünf lange Sommer lang, das war großartig!

 Also hätten sie auch den „Keltischen Ring“ schreiben können, wenn Björn Larsson es nicht schon getan hätte…

Ah, Björn Larsson, ja, das Buch habe ich gelesen während wir dort segelten. Ich mochte das Buch sehr, es ist toll!

Was war eigentlich ihr schlimmster Moment beim Segeln?

Ein russischer Frachter, dicht bei Skagen. Es war mitten in der Nacht und die haben uns nicht gesehen. Fast hätte er uns übergefahren und versenkt. Es war ganz knapp und der Mann auf der Brücke war wohl auch erschrocken, er kam nach draußen und brüllte uns an aber was hätte ich tun sollen, auf einem kleinen Segelboot mit nur vier Knoten Fahrt, während er vielleicht einfach nur Kaffe getrunken und TV geschaut hatte statt Ausguck zu halten. Ich war einfach nur erleichtert dass wir noch lebten. Aus jedem Hafen schrieb ich an meine Großeltern weil diese Briefe ihr Leben etwas interessanter machten und dann dachte ich darüber nach – wie sollte ich dieses Erlebnis meiner Oma beschreiben? Ich hatte in diesen Briefen die gefährlichen Momente sowieso schon immer etwas harmloser geschildert aber dies hier war ja wirklich übel gewesen!

Und die schönsten Momente?

Es gab so viele, aber besonders schön war es, unter Spinnaker von Bergen zu den Shetlandinseln zu segeln, bei schönstem Wetter, mit guter Geschwindigkeit, Delphine spielten ums Boot, es war warm, einfach unglaublich. Oder wenn man mit den Kindern segelt und wenn die das dann wirklich genießen, das ist auch sehr schön. Oder einfach nur auf den Felsen sitzen und zusehen, wie die Sonne im Meer untergeht. Ach ja, der tollste Ort aber ist St. Kilda. So speziell, so anders, aber es ist schwierig, dort zu ankern. Wir kamen um vier Uhr morgens an und blieben den ganzen Tag und gingen sogar an Land, aber dann nahm der Wind zu und wir mussten weg von der Insel. Das hat mir schon etwas Angst gemacht, der zunehmende Wind in der einsetzenden Dunkelheit, dazu begann es auch noch zu regnen. Das fühlte sich an als ob die See uns jetzt holen wollte – vor allem für mich mit meiner starken Fantasie! Nachts dachte ich an Seeungeheuer und all solche Dinge. Aber auf der anderen Seite inspiriert Segeln mich natürlich auch!

Warum schreiben sie eigentlich keine Segelromane, so wie Larsson?

Ja, ich weiß, das ist schon komisch. Ich habe meine Polizistin, sie lebt ja auf ihrem Boot. Das macht sie schon eine Weile, ich schreibe jetzt das vierte Buch und sie lebt an Bord aber Segeln an sich kommt kaum vor. Es gibt dafür aber viel über die Küste und die Gegend. Vor allem natürlich über Marstrand, wie im dritten Buch, als Freihafen. Marstrand war von 1775 bis 1794 eine freie Stadt und Zoll- und Steuerfrei, damals gab es hier auch Piraten aber das ist ein vergessenes Kapitel in der schwedischen Geschichte.

Was waren das für Piraten?

Es waren Freibeuter, sie hatten Kaperbriefe vom schwedischen König, von 1811 und 1814. Es waren zwei Männer hier aus Marstrand, sie durften jedes Schiff angreifen und aufbringen, welches nicht zu einer mit Schweden befreundeten Nation gehörte. Sie brachten ihre Prisen hierher, die Mannschaften kamen in die Festung Carlsten, die Ladung und die Schiffe wurden verkauft. Die beiden lebten auf Klåverön, der letzte starb 1854. Das ist nicht sehr lange her, dennoch wusste hier in der Gegend fast niemand etwas davon. Eine alte Dame aus dem Heimatverein war auf Klåverön geboren und aufgewachsen und als ich sie auf das Thema ansprach wurde sie sehr streng und meinte: Darüber spricht man besser nicht! Wie bitte, sagte ich und dann taute sie nach und nach auf und schließlich zeigte sie mir diese Münzen hier (Ann lässt sie auf den Tisch rollen), die älteste ist von 1724. Sie hatte sie im Schotter vor ihrem Haus gefunden, als junges Mädchen, und dann herausgefunden dass die Schwester einer der Piraten in eben diesem Haus gewohnt hatte. Stell dir das vor! Vielleicht haben sie nachts vor dem Haus schnell ihre Beute geteilt, schnell, schnell, bevor einer der Zöllner oder Soldaten des Königs kam, und in der Dunkelheit sind ein paar Münzen auf die Erde gefallen und weg gerollt – hier wird Geschichte lebendig! Stell dir nur einmal vor, in welchen Taschen diese Münzen schon geklimpert haben! Der alte Pirat starb als sehr reicher Mann im Jahr 1854, aber er hatte wohl auch ein schlechtes Gewissen denn in seinen späten Jahren stiftete er der Kirche sehr viel Geld. Aber darüber erfahren die Kinder nichts, wenn sie in der Schule ihren Geschichtsunterricht haben.

Wann werden sie also einen Piratenroman schreiben?

Das habe ich schon, es ist mein drittes Buch, aber es ist noch nicht übersetzt worden. Die Geschichte aus dieser Zeit von Marstrand ist sehr interessant – es war eine freie Stadt, wenn man vom Festland herüber wollte, brauchte man einen Pass. Schiffe mit reichlich Ladung kamen und blieben so lange sie wollten, es gab natürlich jede Menge Schmuggelei in jener Zeit, von 1775 bis 1794. Damals gab es auch Religionsfreiheit auf Marstrand, so dass die jüdischen Kaufleute kamen und wir hier drüben auf der Insel die erste Synagoge Skandinaviens haben. Es gibt sie immer noch, sie befindet sich in einem Privathaus. Das Beste war aber das Gesetz Paragraf Neun. Eine Generalamnesie von allen Straftaten, solange diese nicht auf Marstrand begangen wurden oder sie nicht Ehre oder Leben bedroht hatten. Als einfacher Dieb konnte man nach Marstrand kommen und hier ein freier Mann sein – aber nur hier, auf der Insel. Unglaublich, oder?

Haben sie noch unerfüllte Segelträume?

Ich würde gerne an Bord leben, aber mit einer Familie und zwei kleinen Jungs geht das gerade nicht. Wir haben in unserer Gesellschaft zu viele Dinge, viel zuviel Zeugs das man gar nicht braucht und wenn man auf einem Boot lebt, dann braucht man das alles auch nicht. Weil es nämlich gar keinen Platz dafür gibt und dann merkt man sehr schnell dass man auch ohne das alles auskommt. Man muss nicht jeden Tag duschen, das Make up und das Haar müssen nicht immer perfekt sein, und so weiter. Dafür hat man auf dem Wasser mehr Zeit, sich mit der oder den anderen Personen an Bord zu beschäftigen… habe ich eine Frage überhaupt beantwortet?

So in etwa! Wieviel von ihrer Figur Karin Adler, der an Bord lebenden Kommissarin, steckt in ihnen?

(Lacht) – Ich wusste es! Diese Frage musste ja kommen! Man nimmt wohl seine guten Seiten und baut sie in die Figur ein, das schlechte Zeug lasse ich weg. Das Gute ist ja, dass man wählen kann. Und ich würde wie gesagt auch gerne an Bord leben.

Von Ann Rosman erschien bisher auf Deutsch:

Die Tochter des Leuchtturmmeisters

Die Tote auf dem Opferstein

 

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