Arthur Ransome

Er sieht so harmlos aus. Runde Brillengläser, ein Schnauzer wie ein Walross und schütteres Haar – der Autor einer beliebten, wenn auch heute altmodischen Kinderbuchreihe aus den 1930er und 1940er Jahren, wo außergewöhnlich redegewandte Kinder mit Namen wie Titty und Roger vor allem gesunde Dinge an der frischen Luft tun: Segeln, Zelten, Pemmikan essen.

Ganze Generationen haben diese Bücher in den Schulferien verschlungen, die so gar nicht waren wie die Schulferien dieser Kinder, und sich dabei nichts sehnlicher gewünscht als eben solche Schulferien wir die in diesen Büchern beschriebenen zu erleben. Da braucht es kaum noch einen Vater, der Kommandant der Royal Navy ist und der, von der besorgten Mutter per Telgramm befragt ob die Kinder zur Insel segeln und dort alleine Zelten dürfen, sofort antwortet: „Lieber ertrunken als gekniffen. Und falls nicht – Nieten ertrinken nicht!“ („Was soll das heißen“, fragte Susan. „Es heißt: Ja, sagte Titty“.)

Weniger bekannt ist, dass Arthur Ransome einst der Korrespondent der britischen Tageszeitung The Guardian in Moskau war. Da war doch auch etwas über eine ungewöhnliche Ehefrau? Nur die wenigsten wissen, dass der Autor dieser entzückenden Kinderbuch-Klassiker mit der Sekretärin von Trotzky verheiratet war, dass er eine Wohnung mit dem Chef der bolschewistischen Propaganda, Karl Radek, teilte und dass er sich bestens mit Lenin verstand, den er persönlich kannte. Seine britischen Landsleute hielten ihn eine Zeitlang für so gefährlich, dass er bei einer Reise nach London verhaftet wurde, wegen des Verdachts auf Hochverrat und Spionage. Dabei war er, als Agent S 76, gleichzeitig in den Diensten des britischen Geheimdienstes MI6.

Es gab, so scheint es, zwei Arthur Ransomes. Und es ist klar, dass die beiden schlecht zusammen passen. Einerseits der Freund der Revolution in Russland, der flammende Texte dazu schrieb und der den roten Terror leugnete oder nicht wahrhaben wollte. Lenin soll ihn nicht nur als Schachspieler, sondern auch als Informationsquelle über britische Politik geschätzt haben. Er war, zweifellos, ein Spion – vielleicht gar ein Doppelagent. Letzteres ist bis heute nie geklärt worden.

Dann gibt es den Segler, der Angler, den Kinderbuchautor – den in Rugby gebildeten Briten, wie er im Buche steht. Pfeife rauchend, loyal, auch erfolgreich: Von seinen Kinderbüchern der Reihe „Swallows and Amazons“ wurden schon mehr als eine Million Exemplare verkauft bevor überhaupt der letzte Band der Reihe erschienen war, und danach noch viele Millionen mehr – Ransome also als eine Art J. K. Rowling der Dreißigerjahre. Doch eben auch eine, sagen wir, ziemlich komplexe Figur.

Geboren wurde er 1884. Sein Vater war Professor für Geschichte und moderne Literatur, starb aber tragischerweise an Tuberkulose als Arthur gerade einmal 13 Jahre alt war. In der Schule glänzte Arthur nicht und so behielt er Zeit seines Lebens das Gefühl, seinen Vater verraten zu haben. Von ihm erbte er allerdings die Liebe zur englischen Natur, vor allem zur Landschaft im Lake District, wo die Familie jedes Jahr ihren Urlaub verbrachte. Viele Jahre später wurde diese Gegend zur Bühne für „Swallows and Amazons“.

Er war fest entschlossen, Schriftsteller zu werden und begann als Assistent in einem Londoner Verlagshaus, wo er etliche Magazinartikel verfasste und schließlich seinen ersten Buchvertrag ergatterte. 1909 heiratete er Ivy Walker, ein großer Fehler wie sich bald herausstellen sollte. Die beiden hatten eine Tochter, waren aber nicht glücklich miteinander. 1913 flüchtete er sich daher nach Russland, um, wie er sagte, ein Buch über St. Petersburg zu schreiben und um russische Märchen zu studieren. Russland war damals aber auch das einzige Land in Europa, in das ihn seine Frau und Tochter nicht begleiten konnten.

Mit den Augen eines Reporters gesehen war es ein guter Schachzug. Im Jahr darauf brach der erste Weltkrieg aus und Ransome wurde der russische Korrespondent der radikalen Tageszeitung Daily News. Er war einer der ersten britischen Journalisten, der Trotzky interviewte und, 1917, einer von nur sehr wenigen ausgesuchten ausländischen Reportern, denen es erlaubt war über die Revolution in Russland zu berichten. Für ihn war die Revolution lebendige Demokratie, ein Volksaufstand gegen die Brutalitäten des Zarenreichs. Als die Bolschewisten erst einmal fest im Sattel saßen, war er davon überzeugt, dass nur sie einen Absturz Russlands in die Anarchie verhindern könnten. Selbst dann noch, als deren Rücksichtslosigkeit ganz offenbar wurde.

Aber es gab auch noch einen Grund für seine Begeisterung für das neue Russland: Evgenia Shelepina. Sie traf er 1917 vor der Tür von Trotzkys Büro, als er gerade auf der Suche nach einem Offiziellen war, der ihm einen seiner Artikel freigeben sollte. Sie besorgte ihm einen, dazu noch einen Teller Bratkartoffeln und dann verliebten sie sich ineinander. Zur gleichen Zeit freundete er sich mit dem Propagandisten Karl Radek an. So wundert es nicht, dass schon bald britische Agenten zuhause warnten, Ransome sei komplett zu den Bolschewisten übergelaufen. Dennoch wurde er im Sommer 1918 vom Geheimdienst MI6 angeworben. Es gab einfach niemanden, der näher an den Führern der Revolution dran war, als ihn.

Tatsächlich unterstützte er die Revolution. Einmal transportierte er drei Millionen Rubel in einer Diplomatentasche nach Schweden, ausgestattet mit seinem britischen Pass und neuen Papieren, die ihm von Radek ausgestellt worden waren. Ein Jahr darauf reiste er mit Evgenia von Russland nach Estland, im Gepäck Diamanten im Wert von zwei Millionen Rubel für die Sache der Bolschewisten.

Roland Chambers, der 2009 eine Biografie Ransomes veröffentlich hat („The Last Englishman“), ist sich denn auch sicher, dass Arthur Ransome ein Doppelagent war. „Er wurde von den Engländern bezahlt“, schrieb Chambers, „aber er erzählte auch seinen russischen Freunden von der englischen Politik. Allerdings war dies nicht der Kalte Krieg. Es gibt keine Beweise dafür, dass er jemals geheime Informationen weiter gegeben hätte, oder dass er auch nur Zugang dazu gehabt hätte. Und es gibt kein Gesetz welches es einem unterbindet, seine Meinung kundzutun. In seinen eigenen Augen war Ransome eher ein Grenzgänger zwischen beiden Welten, der eigentlich nur seinen eigenen Interessen diente.“

1924 kehrte er, gemeinsam mit Evgenia, nach England zurück. Für den Guardian schrieb er noch ab und zu, allerdings lehnte er das Angebot der Zeitung ab, als Korrespondent nach Berlin zu gehen. Stattdessen bezogen Evgenia und er ein Häuschen im idyllischen Lake District Englands und dort schrieb er seine berühmten Kinderbücher – das erste Buch von Swallows and Amazons erschien 1929. Über seine späten Jahre schreibt Chambers: „Nichts machte ihn wütender als auch nur die Andeutung, er sei jemals ein Sozialist oder gar ein Bolschewist gewesen. Er hat diese Widersprüche in seinem Leben niemals bearbeitet oder geklärt. Er hasste Selbstprüfungen, er hasste Freud. Und er hat sich niemals entschuldigt. Ich denke einer der Gründe, warum er das Segeln so sehr liebte, war einfach, dass auf See die Moral auf das Überleben reduziert wird. Dort ist man Herrscher seines eigenen Reiches.“

So ist es vielleicht auch gar kein Wunder, dass es von allem, was er jemals schrieb, vollkommen unpolitische Kinderbücher waren, die ihn am Ende erst wirklich berühmt machten.

Dieser Text basiert auf einem Artikel von Jon Henley, veröffentlicht am 13. August 2009 in „The Guardian“

 

Biografie: The last Englishman

Swallows and Amazons

Racundra’s First Cruise

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