Traumrevier im Norden

Zwischen den Inseln ist das Wasser plötzlich ganz ruhig und glasklar. Irgendwo an Land schreit ein Esel, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Mit der Restfahrt im Schiff fahre ich einen – Gottseidank! – perfekten Aufschießer an einen wackligen, ziemlich marode wirkenden Holzsteg heran, der schief im Wasser vor einem winzigen Strand liegt. Weiter oben an Land, auf der Wiese vor dem alten Haus, sitzen einige offenbar tiefenentspannte Menschen beim Wein in der Abendsonne und verfolgen mein Anlegemanöver mit, wie ich mir einbilde, höflichem Interesse. Gut, dass es mir diesmal so gelingt: als das Schiff noch ein paar Meter vom Steg entfernt ist, schlendere ich scheinbar gelassen nach Vorne und warte auf dem spitzen Vorschiff darauf, dass es sanft so weit heran treibt bis ich elegant auf den Steg steigen kann, Vorleine in der Hand.

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Keine schlechte Ankunft in diesem kleinen Paradies. Ich belege die Vorleine und schaue mich um, bedacht darauf die Balance zu halten auf diesem Wackelsteg. Da schreit wieder der Esel, dass es einem durch Mark und Bein geht so dass ich vor Schreck fast doch noch ins Wasser plumpse. Gelächter aus dem Cockpit, meine Kinder haben das natürlich sofort mitbekommen. So scheuche ich sie auf: Fender ausbringen! Segel bergen! Auftuchen! Die kleinen, drei- und sechsjährigen Hände haben damit mehr als genug zu tun. Ich lege das Boot derweil längsseits an den Steg und dann ziehen wir, eine kleine Familientruppe, hinaus an Land. Zeit für den Sundowner für uns Eltern, Zeit zum Herumtoben auf der Wiese für die Kleinen.

Und, nein, wir sind trotz Inseln, Esel, Sonne und Wein nicht in Griechenland. Dies ist die Ochseninsel, genauer: Die große Ochseninsel, denn es gibt zwei davon hier, tief im inneren Teil der Flensburger Förde. Einst nur als Viehweiden genutzt, lebten später auch einige Familien hier und ernährten sich von Fischerei und Bootsbau: 1845 kaufte der Bootsbauer Lorenz Issack die große Ochseninsel, die bis 1982 im Besitz seiner Nachkommen blieb. Eine kleine Werft gibt es hier immer noch und Schiffe bis sechs Tonnen können hier geslipt und repariert werden. Allerdings, eine ehemalige Bootsbauhalle wurde umfunktioniert in den sehr gemütlichen »Øens Kro«, vor dem wir uns jetzt in der milden Abendsonne niederlassen zum Wein und Abendessen, beides übrigens sehr lecker.

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Noch besser wird es hier bei einem der regelmäßig stattfindenden Inselkonzerte, die dann in der großen Winterlagerhalle stattfinden. Erstklassige Künstler treten hier auf und begeistern immer wieder ein anspruchsvolles Publikum, das natürlich nicht nur auf eigenen Booten anreist, sondern die mit dem inseleigenen Fährboot vom nahen Sønderhav auf der dänischen Seite der Innenförde aus herüber gebracht werden.

Dabei schien die winzige, »große« Ochseninsel vor noch wenigen Jahren vergessen zu sein, verfallen und verramscht obendrein. Was heute hier passiert, ist in gewisser Weise typisch für diese lebendige Grenzregion, in der sich der Norden Deutschlands und der Süden Dänemarks traditionell und historisch und auch kulturell schon immer miteinander vermischen. Seit 2004 nämlich kümmert sich eine Gruppe engagierter Menschen um die Insel, gründete das »Projekt Ochseninseln« mit dem Ziel, die Insel auf nachhaltige, ökologische und eben auch kulturelle Art zu betreiben. Ein wenig Bootsbau, ein wenig Landwirtschaft, ein wenig Kultur und ein wenig Gastronomie: Das Konzept geht voll auf, die Inseln jedenfalls sind ein beliebtes Ziel auch, aber nicht nur für Segler, die sich hier in der Gegend herumtreiben.

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Dabei liegen beide Ochseninseln, die große und die noch kleinere, in Sichtweite der Stadt Flensburg, gerade gegenüber einem der schönsten Yachthäfen Deutschlands (dies ist der Yachthafen von Glücksburg, Heimat nicht nur des Flensburger Segel Club, sondern auch des DHH respektive der traditionellen wie berühmten »Hanseatischen Yachtschule«). Das macht den ganz besonderen Reiz dieser Region aus, die so viel auf sehr überschaubarem Raum bietet: Kultur und Landschaft, städtisches und ländliches Leben, dazu vor allem idyllische Häfen und Ankerplätze en masse.

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So kreuzen wir am nächsten Tag gegen einen frischen Ostwind aus der Innenförde hinaus, um die tückische und vielleicht deshalb so genannte »Schwiegermutter« herum, die nichts anderes ist als ein ausgedehntes Flach an der Nordspitze der Halbinsel Holnis, die wie eine große natürliche Hafenmole von Schleswig-Holstein aus nach Norden in die Förde hineinragt und die Innenförde in einen gigantischen Naturhafen verwandelt.

Östlich der Halbinsel wird es denn auch spürbar rauer, aber nun sind schon die markanten Doppeltürme der Kirche von Broager deutlich zu sehen, die seit dem 15. Jahrhundert einen sinnvollen Zweck als Landmarke für Seefahrer erfüllt. Als der Hafen von Sønderborg in Sicht kommt und wir mit nördlichem Kurs anliegen können, zischen wir die letzten paar Meilen mit berauschender Fahrt dahin. Die 806er, die wir in Glücksburg übernommen haben, ist nicht gerade das typische Charterschiff. Sie ist eine Freude für jeden, der sich für schnelles und intensives und auch unkompliziertes Segeln begeistern kann; dafür fehlen ihr Dinge, die sonst auf Charterbooten als unverzichtbar betrachtet werden: Kartentisch, Klo und Küche sucht man unter Deck vergebens und Stehhöhe, dafür unbegrenzte, hat man nur unter dem geöffneten Schiebeluk. Allerdings, für dieses Revier ist das Boot wie gemacht. Das Schiff ist nicht nur ungeheuer schnell, es segelt sich so fröhlich und unbekümmert und sensibel und unkompliziert wie eine Jolle. Dabei finden auch die Kinder im tiefen Cockpit unterwegs sehr guten Schutz und für sie reicht auch die Höhe unter Deck, wo sie sich beim Segeln ebenfalls gerne tummeln. Und was fast das Beste ist: Die 806er ist so wendig und leicht, dass wir den am Spiegel angehängten Motor nur dazu brauchen, um unter der Klappbrücke von Sønderborg hindurch in den Alsensund einzulaufen. Dies ist Segeln pur auf allerfeinste und schon fast vergessene Art, für Leute wir mich ein Jungbrunnen, geradezu.

Wie überhaupt diese idyllischen Gewässer um die Bilderbuchinsel Alsen. Erinnerungen an viele Segelsommer, vor vielen, vielen Jahren hier auf Jollen und anderen kleinen Booten verlebt, tauchen allmählich wieder auf. Verregnete Tage, unter leckenden Persennigen an Bord verbracht, aber auch helle und klare und warme Sommertage und Nächte. Hot Dogs, Quallen und Mädchen. Nach einer Weile, glaube ich, konnte ich wenigstens mit den Hot Dogs und den Quallen umgehen.

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Die Kühe, die am Nordausgang des schmalen Alsensunds mit den Hufen im Wasser stehen, glotzen uns gleichgültig an während wir, nur wenige Meter entfernt, an ihnen vorbei segeln. Hinein nach Augustenborg, gelegen am Ende des Fjords, in einer natürlichen Sackgasse. Nur unter Großsegel rauschen wir das schmale Hafenfahrwasser hinein, doch im Hafen selbst gibt es genug Platz um einen ordentlichen Aufschießer an den Steg heran zu fahren. Viele Dinge ändern sich in dieser Welt mit atemberaubender Geschwindigkeit, umso schöner ist es dann wenn auch einmal etwas oder, in diesem Fall, jemand bleibt. Schon von weitem hören wir das ansteckende, fröhliche und unbeschämt laute Lachen, das ich aus früheren Jahren noch so gut kenne als meine Familie hier ein paar Jahre lang ein Boot liegen hatte. Christian, der notorisch gut gelaunte Hafenmeister ist mittlerweile eine lebende Legende und gehört schon fast hierher wie, sagen wir, die alte Eiche im Schlosspark gegenüber, unter der Hans Christian Andersen einige seiner schönen Märchen geschrieben haben soll. Zugegeben, ganz so alt ist Christian nicht, aber seit mehr als einem Vierteljahrhundert kümmert er sich um seine Pappenheimer hier im Hafen; es fühlt sich an als sei es immer so gewesen und, was fast noch besser ist, als könne es auch immer so bleiben.

Für immer bleiben könnte von mir aus auch der Ballebro Kro; immerhin steht an dieser Stelle, an der Fähranlegestelle von Ballebro am Als Fjord, schon seit 1729 eine Gastwirtschaft. Der Kro heute ist zwar modernisiert und renoviert, erinnert aber auf seine Weise an vergangene Zeiten und ferne Gegenden. Nur wenige Meter unterhalb der Veranda schwappt das Wasser des Fjords ans Ufer. Überhaupt, diese Veranda im kolonialen Stil, die zum Faulenzen in bequemen Deckchairs einlädt. Und zum Lesen und Träumen: Fast könnte man sich hier bei Conrad oder Somerset Maugham wähnen, an Deck mit dem Verdammten der Inseln oder mittendrin in der Südseeromanze. Der Als Fjord wird dann wahlweise zur Straße von Malacca, zum Chinesischen Meer oder auch zum stillen, bedrohlichen Dschungelfluss, an dessen wuchernden Ufern Allmayer seinen Wahn auslebt. Und Batavia liegt gleich rechts um die Ecke, Richtung Augustenborg…

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Handfester als solche Träumereien ist die Küche hier, eine leichte dänische Küche aus frischen Produkten der unmittelbaren Umgebung, einfallsreich und köstlich: Vom Barschfilet mit roten Linsen und Beurre Blanc aus Noilly Prat, über ein Carpaccio vom Lamm an erdnussmariniertem Salat mit Wachtelei bis zum dänischen Kalb mit Sommerspinat und Morchelcreme reichen einige der Ideen hier.

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Das Beste aber ist, dass man mit der 806er sogar in den winzigen Hafen einlaufen kann, der gleich neben der Haustür des Kro liegt. Ein Jollenhafen eher, meist voll belegt und ohne besondere Einrichtungen, aber dafür hat man ja den Kro. Und ein Plätzchen für das Boot wird sich schon finden lassen, denn auch das ist ein Vorteil des kleinen Bootes…

 

Folkeboot mit Turbolader

Die »Internationale 806« ist ein Klassiker: Das elegante, 8,06 Meter lange Schiff wurde bereits vor 30 Jahren von Pelle Petterson entworfen. Dabei ist es immer noch aktuell, es segelt sich wie ein Folkeboot mit Turbolader. Und genau so entdeckte auch Otto Jeschonnek vom »806er Office« seine Liebe zu diesen Booten. Der gestandene Hochseesegler, der bereits Jahrzehntelang vor allem im Nordatlantik und Nordmeer unterwegs war und der aber auch, in seiner Wahlheimat Flensburg, schon ein Folkeboot besessen hatte, wollte sich wieder ein eigenes kleines Boot für das Traumrevier vor der Haustür kaufen, als seine zwei Söhne Teenanger waren. Ein Folkeboot mochten die beiden nicht haben: »Da segeln wir nicht mit!«, hieß es kategorisch.  Grund war der fehlende Spinnaker, doch als Vater Jeschonnek sich nach einem H-Boot umsah, fiel ihm während einer Regatta auf der Förde ein 806er auf, der gerade an einem H-Boot vorbei segelte. Und dachte sich: Das wäre doch noch viel besser!

Das Schiff begeistert vor allem durch die erwähnten, herausragenden Segeleigenschaften, die einfache Handhabung und Unkompliziertheit. Das wiederum freut nicht nur Hardcore-Vollblutsegler, sondern jeden, der sich gerne unter Segel auf dem Wasser bewegt. Der Komfort unter Deck ist im Vergleich zu größeren und gängigeren Charterschiffen sehr basic, aber es gibt vier Kojen (zwei einzelne und eine Doppelkoje) und zumindest die Möglichkeit, sich morgens zum Frühstück einen Kaffee oder Tee zu kochen. Ideal ist das Boot für Paare, die es romantisch mögen, oder für junge Familien. Und überhaupt für jeden in diesem Revier, wo man überall an Land sehr gut essen und auch übernachten kann.

Infos über Boot und Charter: 806er.de

 

Die Hotelsegeltour

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Die Gewässer der Flensburger Förde und rum um Alsen sind perfekt geeignet für diese besonders reizvolle und komfortable Variante des Segelurlaubs: Mit der 806 von einem Hotel zum nächsten segeln und jeweils an Land essen und übernachten. Denn es gibt hier eine Reihe von angenehmen bis rundheraus luxuriösen Häusern, die, wie gemacht für diese Art des Reisens, direkt am Wasser liegen. In der Flensburger Innenförde wäre dies zum Beispiel das Hotel Wassersleben, am Yachthafen des gleichnamigen Ortes gelegen und bekannt für seine exquisite Küche zu fairen Preisen. Oder, etwas teurer aber auch besonders fein, das frisch renovierte Strandhotel in Glücksburg, nur fünf Minuten vom Yachthafen entfernt. Komfortable, wenn auch eher bürgerliche Übernachtungsmöglichkeiten in direkter Hafennähe bieten sowohl Grasten als auch Sonderburg. Gediegen ist das zwar einfache, aber auch charmante Fjordhotel in Augustenborg, ebenfalls direkt am Yachthafen gelegen. Am beliebten Hafen von Hørup Hav wartet das grandiose Hotel Baltic auf Genießer, und direkt am Alsensund der im Text bereits beschriebene Ballebro Kro. Aus diesen Stationen ließe sich eine Genießertour gestalten, die weltweit einmalig ist!

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