Herz auf Eis

Vielleicht ist dieses Buch nicht unbedingt die richtige Literatur zum Frühling. Aber was soll’s, es ist nun mal jetzt erschienen. Und toll ist es. Eine Geschichte, die eher banal anfängt, dann unglaublich dramatisch wird und – endet. Wie? Verrate ich nicht, aber es ist, so viel sei hier gesagt, trotz des unglaublich rohen, puren Überlebenskampfes in der eisigen Wildnis einer Insel im Südpolarmeer, ein Buch für das Leben. Die Geschichte ist schnell umrissen. Ein junges Paar, Louise und Ludovic, befindet sich auf langer Segeltour, vielleicht soll es eine Weltumsegelung werden, auf jeden Fall eine mehrmonatige Auszeit. Obwohl das Betreten dieser Insel eigentlich, wohl aus Naturschutz, verboten ist, ankern sie in einer Bucht an der Küste einer Insel, die sich in den hohen südlichen Breitengraden des Atlantiks befindet, und gehen an Land. Klettern und wandern in das Inselinnere, irgendetwas, einen Binnensee glaube ich, soll es dort besonderes zu sehen, zu entdecken geben. Doch es mehren sich die Anzeichen dafür, dass ein Wetterumschwung bevorsteht und hier bedeutet das meistens, dass es nicht besser wird. Die Frau, Louise, ist eine erfahrene Bergsteigerin, alle Instinkte in ihr mahnen zur sofortigen Umkehr, zurück zum Strand, zurück zum Beiboot, zurück zur in der Bucht verankerten Yacht. Doch ihr Partner Ludovic gibt sich davon unbeeindruckt, nur eben noch hier hinauf, sagt er, macht sich wohl sogar ein wenig über ihre Vorsicht lustig. Er ist der wohl eher verwöhnte Sohn aus wohlhabendem Hause, ein Sonnyboy dem bisher alles gelang, weil es vermutlich keine größeren Hindernisse gab, und der die Situation auch jetzt nicht wirklich ernst nimmt. Aber dann ändert sich das Wetter, schnell und heftig brechen Sturm und Unwetter über sie herein. In völlig unzureichender Kleidung werden sie überrascht, kein Gedanke daran, in dem nun tobenden Sturm im winzigen Beiboot zurück zur in der Bucht verankerten Yacht zu gelangen. Sie suchen Schutz in einer zerfallenen, lange verlassenen Walfangstation, deren verfallene Gebäude keinen wirklichen Schutz bieten und verbringen eine grauenvolle Nacht an Land die ihnen später, im Rückblick, noch fast paradiesisch erscheinen wird. Denn es passiert, was man als Segler und als Leser schon geahnt hat. Am nächsten Morgen ist der Sturm vorbei. Und die Yacht ist weg. Klar, in seiner selbstverliebten Sorglosigkeit hat Ludo vielleicht zu wenig Kette gesteckt, aber sie wollten ja auch nur kurz an Land, nicht über Nacht bleiben. Wie auch immer, im Sturm der Nacht hat der Anker nicht gehalten, die Yacht ist auf See hinausgetrieben, vielleicht am nächsten Felsen zerschellt und zerbrochen, aber auf jeden Fall: weg. Plötzlich sitzen die beiden hier, gestrandet auf dieser Insel am Rande des Nichts, mit wenig mehr als ihren leichten, durchnässten Klamotten. Das Drama kann beginnen. Es ist als wären die beiden, aus dem angenehmen Leben eines gut situierten Paares in Paris, in die Steinzeit zurückgeworfen. Ein brutaler Überlebenskampf beginnt. Klar und realistisch und detailgenau geschildert von einer Autorin, die sich im Südpolarmeer aus erster Hand bestens auskennt, ist dies eine faszinierende, fast schon voyeuristische Lektüre. Die beiden kämpfen in ihrer Hölle nicht nur gegen die Natur, gegen Kälte und Hunger und Ratten, gegen Mutlosigkeit und Apathie, sondern allzu oft auch gegeneinander. Wie dünn ist die Schicht der Liebe, wenn die Umstände nur extrem genug sind? Wann kippt sie um in blanken Hass? Was folgt daraus? Wie handeln die unterschiedlichen, durchaus vielschichtigen Charaktere in dieser, völlig andern, Welt? Wie überleben, miteinander oder gegeneinander? Was ist moralisch, was notwendig? Große Fragen werden hier, zuerst noch en passant, später zentraler in die Handlung gerückt, verhandelt. Ein entlarvender Blick auf unsere Gesellschaft ist da durchaus eingeschlossen. Fazit: Ein faszinierendes Buch, ein großes Leseerlebnis, das noch lange nachwirkt!

 

 

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