Der romantische Abenteurer

Dieses Jahr wird großartig, das fühle ich – viele spannende Projekte und Neuerscheinungen befinden sich in der Pipeline. Und es fängt schon großartig an, indem es nämlich das Jahr von Jack London ist: Der berühmte und begeisternde amerikanische Viel-Schreiber wurde vor 140 Jahren geboren, am 12. Januar 1876, und starb vor 100 Jahren, am 22. November 1916, im Alter von gerade einmal 40 Jahren auf seiner Ranch in Glen Ellen, im wunderschönen Sonoma Valley am Fuße der Berge nördlich seiner Geburts- und Heimatstadt San Francisco. In diesen 40 Jahren wurde er schon zu Lebzeiten zu einer Legende, er lebte wild und intensiv und erlebte das meiste von dem, worüber er in seinen Büchern schrieb, tatsächlich selbst. Dabei schrieb er auch unglaublich viel. Noch bis zu seinem Tod zwang er sich dazu, täglich 1000 Wörter zu Papier zu bringen. In nur 20 Jahren hatte er auf diese Weise mehr als 50 Bücher sowie unzählige Artikel, Kurzgeschichten und Essays geschrieben. Seine berühmtesten Bücher sind „Ruf der Wildnis“ (1903), „Der Seewolf“ (1904), „Wolfsblut“ (1906) und „König Alkohol“ (1913). Eins meiner liebsten London-Bücher ist die leider weithin unbekannte Südsee-Geschichte „Die Insel Berande“ (1911, derzeit leider nicht lieferbar oder nur antiquarisch), geschrieben während seines Südseetörns an Bord seines Schoners „Snark“. Auch über diese Tour gibt es ein wundervolles Buch, welches im März diesen Jahres bei mare neu erscheint: „Die Reise mit der Snark“ (1911).

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Jack London, links, mit seiner Frau Charmian und dem Pianisten Laurie Smith an Bord der Yawl Roamer

Gestorben sein mag er an Land, auf seiner Ranch, doch gelebt hat er vor allem auf See und an Bord seiner Schiffe. Das begann schon in seiner Jugend, als er sich mit 15 Jahren ein Boot organisierte und zum jüngsten „Austern-Piraten“ der San Francisco Bay wurde. London kam aus einfachen Verhältnissen und hatte eine entsprechend robuste Kindheit und Jugend, mit vielen harten Nebenjobs in Fabriken und am Hafen, auch mit zeitweiligen „Ausflügen“ in das kleinkriminelle Milieu solcher Gegenden, wozu auch der Austernklau zählte. Sein – und unser – Glück, dass trotz dieser Umstände eine Bibliothekarin seine Liebe zu Büchern entfachte und er schon bald selber mit dem Schreiben begann. Seine ersten Romane erschienen als Fortsetzungen in Tagenszeitungen, so wie auch sein berühmtes Werk „Ruf der Wildnis“ im Sommer 1903 zunächst als Serienroman in der Saturday Evening Post erschien – die Rechte daran hatte London schon vorab für gerade einmal 2000 Dollar verscherbelt, weil er sich für diese Summe ein altes Segelboot kaufen wollte.

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Der untaugliche Navigator an Bord der Snark, mitten im Pazifik ohne Schiffsposition

Genauso wenig bekannt ist, dass er eigentlich Dichter werden wollte. Er studierte in den Jahren 1898 und 1899 eine Zeitlang sehr intensiv klassische Dichtung und schrieb auch selber etliche Gedichte, verlegte sich dann aber auf das Verfassen von Artikeln, Reportagen und Romanen weil er mit seinem Schreiben Geld verdienen wollte und musste. Was ihn in den folgenden Jahren auch prächtig gelang – er schrieb sich ein Vermögen zusammen, welches er größtenteils auch gleich wieder ausgab um sein abenteuerliches, intensives, ausschweifendes Leben zu finanzieren. Der Bau seines Schoners Snark in den Jahren 1906 und 1907 verschlag mehr Mittel, als geplant und auch die Reise über den Pazifik nach Hawaii und weiter in die Südseeinseln war abenteuerlich genug: Das Schiff leckte wie ein Sieb, der Schiffskoch konnte nicht kochen, der Kapitän nicht segeln und der Navigator nicht navigieren. Nach zwei Wochen auf See, mitten im Pazifik, musste London herausfinden dass sein Navigator nicht die leiseste Idee hatte, wo sie sich befanden. Trotzdem machte ihm und seiner Frau Charmian das Abenteuer großen Spaß – mehr darüber demnächst an dieser Stelle und in dem bereits erwähnten Buch „Die Reise der Snark“. In Australien schließlich musste er die Reise, die eigentlich um die Welt hätte gehen sollen, beenden. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es in mehreren Quellen heißt, wobei mit nicht ganz klar ist, ob es dabei um seine eigene, schon damals angeschlagene Gesundheit oder vielleicht auch eher um den Zustand des Schiffes gegangen war.

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Die Snark, mit einem unbekannten Abenteurer an Bord, in Australien

Wie auch immer. Zurück in Amerika, zogen Charmian und er auf ihre Ranch in den Bergen, die sie kurz vor dem Snark-Abenteuer erworben hatten, Jack kaufte sich außerdem eine neun Meter lange Yawl, mit der er oft und oft auch alleine auf der San Francisco Bay herumsegelte, an Bord übernachtete und dort auch viel schrieb. Im Gegensatz zu den Booten mag die Ranch eine ganz gute Geldanlage gewesen sein, allerdings gab es auch dort Rückschläge. Jack und Charmian hatten sich dort mit großem Aufwand ihr Traumhaus gebaut – von 1911 bis 1913 entstand für etwa 50.000 Dollar ein prächtiges Landhaus, „Wolf House“. Doch einige Tage bevor die beiden einziehen wollten, brannte es bis auf die Grundmauern nieder. London nahm den Verlust philosophisch, aber es war finanziell ein herber Schlag und vor allem auch das Ende eines lang gehegten Traumes.

Die beiden lebten weiterhin in einem kleinen Cottage anderswo auf der weitläufigen Farm und Jack machte es sich zur Aufgabe, die Produktivität der Farm zu steigern. Das allerdings kostete Energie und Geld und Jack stürzte sich in Arbeit und Schulden und schrieb auch immer mehr und immer schneller, um Geld herein zu bekommen. Seiner Gesundheit half das nicht, auch war er zeitweilig depressiv und schon lange Alkoholkrank – „König Alkohol“, das Buch, welches wie seine anderen auch auf persönlichen Erfahrungen beruhte, war bereits 1913 erschienen.

Im November 1916 starb er, aus nie ganz geklärten Gründen. Ein Nierenleiden hatte er schon lange gehabt, einige Biografen sprechen deshalb von einer Harnvergiftung, andere vermuten einen Kreislaufkollaps aufgrund der beschriebenen Belastungen, wieder andere sprechen von einer möglichen Überdosis Morphium, das er zuletzt zur Schmerzlinderung regelmäßig genommen hatte.

In einem Nachruf im San Francisco Bulletin hieß es: „Kein Autor, abgesehen höchstens von Mark Twain, hatte ein romantischeres Leben als Jack London. Der viel zu frühe Tod dieses populärsten aller amerikanischen Romanschriftsteller hat eine Welt schockiert, die erwartet hatte, dass er noch viele Jahre leben und arbeiten würde.“

Tatsächlich gilt Jack London quasi als Vorläufer der großen amerikanischen Romanciers als raue und romantische Helden, später personifiziert etwa von Ernest Hemingway, John Dos Passos oder auch Jack Kerouac. George Orwell beschrieb ihn einmal als einen „Abenteurer und einen Mann der Tat wie es nur sehr, sehr wenige Autoren je gewesen sind.“ Wobei man bei aller Verklärung seiner Abenteuer- und Lebenslust nicht seine durchaus vorhandenen literarischen Qualitäten vergessen oder schmälern darf: In erster Linie war Jack London vor allem ein genialer Geschichtenerzähler.

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