Der Mensch und das Meer

Ein „New Deal“ für die Ozeane

Der Meeresbiologe Callum Roberts plädiert in seinem aufrüttelnden Buch „Der Mensch und das Meer – Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist“ dafür, das maritime Ökosystem zu schützen.
Noch ist es nicht zu spät

Über zwei Drittel der Erdoberfläche werden von Ozeanen bedeckt. Ihr Ökosystem ist auch für den Menschen lebensnotwendig. Doch gerade durch unser eigenes Wirken sind die Meere zunehmend bedroht: „Anfang des 19. Jahrhunderts war die unbekannte Hochsee noch mindestens hundertmal so groß wie die Flächen, auf denen Fischfang betrieben wurde“, schreibt der Meeresbiologe Callum Roberts. „Heute sind die Verhältnisse genau umgekehrt.“

Roberts´ Buch „Der Mensch und das Meer – Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist“ ist eine Bestandsaufnahme des mittlerweile fragilen Verhältnisses des Menschen zur maritimen Umwelt und seiner Geschichte und liefert viele Argumente dafür, warum es in unserem eigenen Interesse ist, den großen Reichtum der Meere zu bewahren. „Die Wiederbelebung der Meere ist kein altruistischer Akt der Selbstaufopferung; sie ist auch aus egoistischen Gründen sinnvoll“, schreibt Roberts. Es geht dabei nicht nur um die Nahrung, die uns die Meere liefern, oder ihre große Bedeutung für das Klima, sondern auch um ihre emotionale Wirkung auf uns: „Die Ozeane inspirieren, fesseln und beruhigen uns.“

 

Trotz aller Faktenfülle beschreibt Robert´s die umfangreiche Materie auf 588 Seiten in guter angelsächsischer Tradition ausgesprochen lebendig, ohne dabei wissenschaftlich ungenau zu werden. Insgesamt ist es ein ziemlich erschreckendes Panorama, das Roberts entwirft: Wir fischen die Meere nicht nur leer, sondern füllen sie zugleich auch mit Umweltgiften und Plastikmüll. Während wir jährlich Fische im Wert von 70 Milliarden Dollar aus den Ozeanen holen, landen zugleich sechs Millionen Tonnen Plastikabfälle in den Weltmeeren – in geschredderter Form finden diese wiederum Eingang in unsere Nahrungskette. Salopp könnte man sagen, dass wir angefangen haben, uns von einer Müllkippe zu ernähren, die wir selbst geschaffen haben. Durch den Klimawandel steigen außerdem nicht nur die Kohlendoxidkonzentration und die Temperatur in den Meeren, sondern auch ihr Säuregehalt. Ein Viertel aller Korallen ist durch die Erwärmung bereits zugrunde gegangen.

Der Plastikmüll, den wir massenhaft in den Meeren entsorgen, ist das vielleicht frappierendste Beispiel: Jahrzehntelang kreist er in den großen Meereswirbeln der Ozeane und wird dort mehr und mehr zerkleinert. Meerestiere und Seevögel verwechseln ihn mit Nahrung. Allein der „Große Pazifische Müllteppich“, der vor 15 Jahren entdeckt wurde, hat eine Größe von Mitteleuropa.

Roberts macht klar, dass sich das Problem nicht in den Griff bekommen lässt, ohne dass wir unseren Plastikkonsum und unsere generelle Konsumgier einschränken – dazu gehört auch, die Intensität der Fischerei zu vermindern – und mehr recyceln. Doch Roberts fordert auch konkrete Maßnahmen: den Bau von 160 mit großen Sieben ausgestatteten Spezialschiffen, die die Weltmeere fünf Jahre lang säubern.

Mehr noch als technische Lösungen brauchen wir laut Roberts aber eine „kleine Schocktherapie“ für unsere Umwelt, einen „`New Deal´ für die Ozeane“. Dafür sei die Errichtung eines „umfassenden, gut überwachten Netzwerks“ von Meeresschutzgebieten unerlässlich. Das sei effektiver als jeder künstliche Eingriff – auch als zum Beispiel der Bau kostspieliger Deiche. „Salzmarschen, Mangrovenwälder und Korallenriffe schützen die Küste weit besser und sorgen selbst für sich.“

Um eine wirkliche Regeneration des maritimen Ökosystems zu gewährleisten, müssten allerdings ein gutes Drittel der Fläche der Ozeane unter Schutz gestellt werden, so Roberts. Diese naturbelassenen Areale sollten zudem eine gewisse Mindestgröße haben und nah beieinander liegen – Roberts hält Schutzgebiete mit einem Durchmesser von 20 und Abständen von 40 Kilometern für angebracht.

Damit geht er noch über 1997 das in der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt gesetzte Ziel hinaus, bis 2012 zehn Prozent der Ozeane zu schützen. Wenn man nun berücksichtigt, dass wir noch weit davon entfernt sind, auch nur diese Vorgabe zu erreichen – Ende 2011 lag der Anteil der Schutzgebiete bei lediglich 1,6 Prozent –, mag man Roberts Vision für utopisch halten. Auch er selbst räumt ein, dass sich „unsere Beziehung zu den Ozeanen“ auf „einem Tiefpunkt“ befinde und zitiert Forscher, die uns in der viereinhalb Milliarden Jahre langen Geschichte der Erde am Anfang eines sechsten Massensterbens stehen sehen. Doch waren es zuvor immer natürliche Umwälzungen, sind wir dieses Mal die Ursache, und deshalb sei es möglich, sagt Roberts, den Kurs zu ändern und „die Katastrophe noch abzuwenden“.

Roberts bleibt Optimist – es gebe inzwischen überall Menschen und Organisationen, die sich für einen grundsätzlichen Wandel einsetzen. „Die Anstrengungen der letzten zehn Jahre machen mir Mut.“ Zu den Erfolgen zählt Roberts, dass die Zahl der Meeresschutzgebiete beständig wächst. „Wir können unseren Einfluss auf die Biosphäre in eine andere Richtung lenken. Wir können Seite an Seite mit der wilden Natur leben. Die Alternative wäre der Untergang.“

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